VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 110


ausschließlich von Wohlwollen für die freie Entwelchem es heißt: „Allein die pure, crasse Sinn¬
wicklung der Bühnendichtung und der Bühnen lichkeit muß sich die Fernhaltung von der Bühne
dictirt ist und daß er die durchaus anerkennens ebenso gefallen lassen, wie sie vom gesellschaftlichen
Verkehre seit jeher ausgeschlossen ist.
werthe Absicht hat, den Polizeigeist, der von
Ich mache mich anheischig, auf Grund dieser
früheren Zeiten her das tritische Walten der
Stelle — „Romeo und Julie" zu verbieten
Censurbehörden nur allzusehr beeinflußt hat, in
weil die Situation, in der sich dieses Liebespaa¬
die gebührenden Schranken zu verweisen. Wenn
am Morgen nach der Brautnacht befindet, kaum mit
man das Theater einen Tempel der Kunst nennen
den Forderungen des gesellschaftlichen Verkehre
kann, so hat der Ministerpräsident nun eine vereinbar ist. Ich könnte noch mit ganz anderen
Tempelaustreibung im Sinne, bei welcher eng¬
Beispielen aufwarten; ich thue es aber nicht, weil
herziges Bureaukratenthum und alter Zopf aus
ich weiß, daß der Herr Ministerpräsident nur die
Zote treffen, der Jote die Bühne verschließen will.
den Räumen, die der Kunst gewidmet sind, ver¬
Ein übereifriger Censor, der nicht an den Tenor
wiesen werden sollen. Nicht der Schrankenlosigkeit
des Erlasses sich halten will, wird unter „purer
soll Thor und Thür geöffnet werden, aber die
crasser Sinnlichkeit ganz andere Dinge suchen, er
Censur soll größere Beschränkung erfahren und
kann mit diesen Worten leicht gegen Dichtungen
die Bühne soll mehr Freiheit erhalten. Dies ist das wie Halbes „Jugend“ zum Streiche ausholen. Ich
Hauptprincip des Erlasses, der es gestatten wird, lege den Nachdruck auf das Wort „Dichtungen" und
daß sich im Rahmen des Theaters nun auch die habe damit meinen Standpunkt begründet. Jeder
socialen Erscheinungen des Lebens von heute,
wahren, echten Dichtung muß die Bühne sich
aufthun
wie sie das Auge des Dichters sieht, wiederspiegeln
Wenn man schon die Censur als eine Institu¬
können. Gerade die moderne dramatische Dichtung
tion anerkennen will, dann ist die Beschreitung des
hat am meisten Veranlassung, sich dieses Erlasses zu
Rechtsweges meines Erachtens nach, das einzige
freuen. Denn er erleichtert ihr den Zutritt zur
Mittel, um Uebergriffe einzelner Censoren zu ver¬
Bühne, der ihr bisher oft durch allerlei von über
hüten.
ängstlicher oder übereifriger, unliterarischer oder
In Preußen ist folgender Rechtsweg: Polizei,
unkritischer Censur vorgeschobene Querbalken ver¬
Bezirksausschuß, Oberverwaltungs=Gericht. Und da
legt war.
entsinne ich mich, daß Gerhart Hauptmann's „Die
Es erschien uns richtig, das Urtheil von
Weber“ von der Polizei und vom Bezirks¬
ausschuß in Berlin verboten wurden.
Fachleuten über den Erlaß des Ministerpräsidenten
Bezirksausschuß sitzen neben den Richtern die Ver¬
einzuholen. Wir befragten einen Theaterdirector,
treter der Burgerschaft. Was that das Ober¬
einen Dichter und einen angesehenen Juristen um
verwaltungsgericht? Dort sitzen nur gelehrte Richter
ihre Meinungen über den Erlaß. Sie Alle, die
Sie hoben das Verbot auf und gaben „Die
gewiß als competente Richter über die Be¬
Weber“ frei
stimmungen des Erlasses anerkannt werden
Ich halte die Censur für eine Rechtsfrage
müssen, begrüßen den Erlaß im Allgemeinen
Deshalb verlange ich die reinliche Scheidung aller
sympathisch, aber sie erheben Einwendungen gegen
ästhetisch=kritischen Geschmacksurtheile von allen eigent¬
manche Einzelnheiten. Wir geben im Nach
lichen Censurfragen. Weil ich dieser Anschauung bi¬
vermag ich in der Beiziehung des „dritten Mannes
stehe den das, was wir vernommen, wieder:
keinen Vortheil zu erblicken.
Der Director des Hofburgtheaters
Dr. Paul Schlenther:
Dr. Arthur Schnitzler:
Ich bemerke zunächst, daß durch den Erlaß
Der urbane, vornehme Ton des Erlasses
des Herrn Ministerpräsidenten Dr. v. Kerber das
berührte mich sehr sympathisch. Wenn ich auch nicht
Hofburgtheater nicht berührt wird. Wir haben unsere
der Kundgebung des Herrn Ministerpräsidenten rück¬
Hauscensur und wir werden sie hoffentlich auch
haltlosen Beifall zu spenden vermag, so bedeutet sie
behalten. Ich kann mir einen glückseligeren Zustand
doch einen wesentlichen Fortschritt.
nicht denken. In den nachfolgenden Zeilen nehme
Nach dem Erlaß wird ein Censurbeirath aus
ich deshalb als Director des Burgtheaters
drei Männern gebildet. Wer werden diese Persön¬
nicht das Wort. Ich würde jedoch selbst dann, lichkeiten sein? Werden sie die entsprechende
wenn ich nicht Director des Burgtheaters
Objectivität in ihr Amt
mitbringen?
wäre, mich mit dem Tenor des Erlasses Verwaltungs= und ein richterlicher Beamten
nicht blos einverstanden erklären, sondern die
sich mit
werden
einem
literarischen
Kundgebung des Ministerpräsidenten infoserne
Fachmann im Beirathe zusammenfinden. Ich möchte
freudig begrüßen, als die Autorität des Chefs der
nicht schwarz sehen, allein ich fürchte, daß die
Regierung Grundsätze unterstützt, die künftig eine amtlichen Censoren den Fachmann oft — nicht
übertriebene Strenge
der Censur ausschließen
immer - überstimmen werden. Der Landesches ist
Andere Staatslenker haben in Sachen
an diese Gutachten nicht gebunden, er kann die Auf¬
Theatercensur anders gesprochen. Der österreichische
führung eines Stückes freigeben oder verbieten.
Ministerpräsident gibt den Censoren eine Richtschnur im will von jedem Landeschef das Beste denken, aber
freisinnigen Geiste.
selbst der mächtigste Statthalter ist außer Stande,
Was ich nun auszuführen gedenke, wird mir
den gewissen „Wind" abzuwehren, der sich gegen
vielleicht als reactionär ausgelegt werden. Und doch
die sogenannten gefährlichen Stücke erhebt. Dieser
kann ich auf Grund meiner Erfahrungen nicht
„Wind" hat on häufig Stücke weggeblasen, die
umhin, über die Zusammensetzung des
man für sehr zulässig erkannte.
Censurbeirathes ein Bedenken auszu
Im höheren, im culturgeschichtlichen Sinne
sprochen.
ist die Censur entschieden zu verwerfen. Eine
Was soll der dritte Mann im Beirath? In
Censur, liberal aufgefaßt und liberal geübt, muß
dem Erlasse heißt es:
geübt werden sonst kommt die Censur der Theater¬
„Dieser ständige Beirath, welcher nunmehr be¬
directoren und die ist noch ärger. Am Richtigsten
jeder Landesstelle zu bilden sein wird, hat aus drei
wäre es, die Autoren für ihre Werke verantwortlich
Mitgliedern, und zwar einem literarisch
bildeten Verwaltungsbeamten, dann zu machen. Doch das ist eine ideale Forderung in
unseren Zeiten — ein schöner Traum.
einem richterlichen Beamten mit der
einer
gleichen Qualification und
Unter den Parteiungen in welchen wir leben
dritten, vermöge ihrer besonderen Befähigung
ist eine Aufhebung der Censur nicht zu erwarten.
zur speciellen Vertretung des dramatischen Gebietes
Es ist leider bei uns das Princip der Sachlichkeit
geeigneten Persönlichkeit, wie etwa einem Bühnen¬
ausgestorben, es herricht übermächtig das Princip
schriftsteller, einem Theaterkritiker
der Parteipolitik. Jede Partei denkt nur daran, die
oder einem Angehörigen des Lehr
Freiheit anderer zu knebeln. Deshalb ist an ideale
standes bestehen."
Zustande nicht zu denken. Die Aufhebung der Censur
Ich wiederhole: Was soll der alterarische
Fachmann im Beirathe? Wenn er seine Pflicht thut, wird dann möglich sein, wenn die Entwicklung
Menschheit bis zu einem Punkte
dann müßte gerade, er, in rein literarisch=künst¬
diehen
ist, der die Menschen befähigt
lerischem Interesse jedes Stück censuriren da bei der
auf der Bühne bles die künstlerischen Dinge zu
Censur immer nur Momente in Betracht kommen
sehen. Es fällt mir gewiß nicht ein das Recht auf
die mit künstlerisch=östhetischen Geschmacksurtheilen
Nichts zu thun haben. Die Centur hat sich zu Tendenz verkümmern zu wollen. Meisterwerke der
Weltliteratur sind Tendenzdichtungen: nur soll das
erstrecken auf sittenpolizeiliche, staats= und rechts¬
Publicum so reif sein, daß es nicht für oder gegen
widrige, religiöse und politische Momente. Mit
allen diesen Dingen hat der literarische Fachmann die Tendenz sich erklärt sondern blos darüber urtheilt,


verhindern. Deshalb war die Büchercensur
ganz unstatthaft. Dagegen glaube ich, daß
Theatercensur im Princip nie ganz zu
entbehren sein wird, weil auf der Bühne Hand¬
lungen vor einer großen Versammlung sich voll¬
ziehen. Wenn Jemand ein Buch liest, in welchem
noch so viele revolutionäre Ideen propagirt werden,
so kann sich doch nicht jene Atmosphäre entwickeln,
in der Explosionen möglich sind, wie beim Theater.
Die Schaubühne darf nicht zum Schauplatze von
Vorbereitungsarten für gewaltthätige Handlungen
gemacht werden; man darf nicht Dinge vorführen,
die, weil sie vor einer Versammlung geschehen,
auch empfindlicher das Schamgefühl verletzen. Die
Polizei in absolutistischen Staaten hat engherzig die
Discussion von politischen oder socialen Fragen auf
der Bühne verhindert — aber der Zote wurde ein
breiter Spielraum gewährt. Die Zote erschien weniger
gefährlich, sie wurde als Ventil genommen, als
Compensation gegeben für die Niederhaltung poli¬
tischer Meinungen
Es hat sich ein Wandel der Zeiten schon seit
Langem ergeben und es wird noch mancher Wandel
folgen So wird man sehr bald — ich hoffe es und
glaube es mit Bestimmtheit annehmen zu können
Hauptmann's „Die Weber“ freigeben müssen,
weil doch Niemand wird behaupten können, daß auf
die Aufführung dieser Dichtung Gewaltacte außer¬
halb des Theaters folgen werden.
Wenn man Zweifel hegen könnte, ob die
Person des Heilands auf die Bühne zu bringen
wäre, so ist dieses Bedenken durch die Passions¬
spiele in Oberammergau und Brixlegg widerlegt.
Die Idee des Censurbeirathes ist nicht neu
Ich begrüße aber trotzdem den Erlaß des Minister¬
präsidenten, weil er eine in Vergessenheit gerathene,
wichtige Institution wieder lebendig machen will.
Mit welchem Erfolge, wird sich zeigen. Es bleibt
abzuwarten, ob nicht die Beamten im Beirathe den
literarischen Fachmann majorisiren werden. Von
diesem literarischen Fachmanne erwarte ich mir
eigentlich wenig
Die vom Minister Bach im Jahre 1850 er¬
lassene Theaterverordnung kennt bereits einen Beirath
„sachverständiger Männer“. Der Censurbeirath
wurde damals nicht gebildet, vielleicht kommt
diesmal zu Stande. Mit welchem Er¬
folge, wird ja die Zukunft lehren. Ich persönlich
kein Anhänger dieser Institution, weil
bin
die Censur nur beschränkt werden soll auf die
Begehung strafbarer Handlungen, desgleichen, wenn ein
Bühnenwerk direct Unruhen hervorzurufen geeignet
erscheint. Um solche zu verhindern, braucht man
keinen Beirath
Viel wichtiger wäre es, einen Rechtszug an
den Verwaltungsgerichtshof einzurichten, einen
Rechtszug, der heute nicht besteht. Man soll
die Dichtungen, die echten Kunstwerke, dem
freien Ermessen der Polizei entziehen; der Dichter
soll Schutz bei den obersten Richtern finden können.
Die Kundgebung des Ministerpräsidenten ent¬
hält eine Reihe guter Gedanken, es sind aber auch
Kautschukbestimmungen darin. Es wird sich be¬
zeigen, ob die Theater Ursache haben, sich des Er¬
lasses zu freuen.