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heiten, wie beispielsweise, wenn er des Morgens bei seinem Rasen¬
Dorian Gray und die Wiener Literaturgigern.
erscheint, wo bereits etliche Herren barbiert worden sind. Ein blut¬
junger Lehrling hat einem der Kunden das halbe Ohr wegbarbiert
(Original-Feuilleton der Breslauer Morgen=Zeitung.)
worüber der Mann begreiflicherweise sehr indigniert ist. Der Che
(Das Dorian Gray-Derby der Wiener Theaterdirektoren.
der Barbierstube und zwei seiner Gehilfen bemühen sich um das
Vom Modedichter Oskar Wilde. — Peter Altenbergs Milchreis¬
lädierte Ohr des geschnittenen Herrn, das sie mit Lapis behandeln
Rezepte und sein Niedergang. — Warum um Oskar Wilde ein
während der Malefikant das Waschbecken hält, das mit Blut bereits
solches Gerig ist. — Wiener Litteratur=Dandies und ihre
halb gefüllt ist. Der Patient stöhnt zum Steinerbarmen, doch der
Erlebnisse.)
Dandy ist über dieses Gestöhne furchtbar irritiert und schreit den
Das wichtigste, was sich bei uns im verflossenen Monat er Mann mit dem halben Ohr an:
gnete, ist das Bildnis des Dorian Gray. Nicht weniger als vier
„Halten Sie ein, Sie Plebejer!“ — schreit er ihn an — „halten
heaterdirektoren stritten sich um die Dramatisierung dieses Romanes Sie ein mit Ihrem läppischen Schmerzgeheul. Mit allem Möglichen
in Oskar Wilde, und als einer von ihnen den anderen um etliche kann ich Sympathie haben, außer mit Schmerzen! Sie sind zu hä߬
kasenlängen vorauseilend, den zum Melodram zerschung nen Roman
lich, zu schrecklich, zu niederdrückend, die sogenannten Schmerzen. In
virklich zur Aufführung brachte, stellte es sich heraus, daß es wahr
der modernen Sympathie für eingebildete Leiden ist etwas un¬
haftig kaum der Rede wert war. Trotzdem wird das unter der
glaublich Krankhaftes.
Flagge des unglücklichen englischen Dichters segelnde Theaterstück seine
„Glauben Sie — Sie angezogener Aff?", höhnt ihn der Herr
undert Aufführungen erleben, denn Oskar Wilde ist bei uns jetzt
mit dem halben Ohr, und wischt sich mit der linken Hand das Blut
ein Mode
aus dem Gesicht. „Sie können leicht reden, Sie angepampfter Mehl¬
Alle Snobs und sämtliche Flaschenputzer der Litteratur schwär wurm, Sie haben ja noch Ihr ganzes Ohr. Und schauen Sie, daß
nen jetzt für Wilde; womit sollten sie sich aber auch sonst die Zeit, Sie weiter kommen, sonst gibts ein Unglück.
vertreiben? Jede Zeit und gar jede Generation von Snobs brauch
Diese allzu drastische Ansprache hat den Dandy nicht wenig ent¬
hre Dichter, die unsrige
schmählich enttäuscht worden. Arthur rüstet: „Wie können Sie so plebejisch reden? Lernen Sie, mein
Schnitzler ist, seitdem er sich unters Joch der Ehe gebeugt, so eine Art
Herr, von den Spartanern; wir sollten überhaupt unser Leben so
Philister geworden. Sein süßes Mädel wird schon merklich säuerlich
einrichten, wie es die alten Griechen gelebt haben. Die alten
und nun gar, da Alfred von Berger mit feierlicher Geste eine litte
Griechen sympathisierten mit den Farben, mit der Schönheit, mi¬
tarische Lobrede auf Schnitzler gehalten und ihn damit gewissermaßen der Lebensfreude.
den vier Unsterblichen des deutschen Parnaß zugesellt hat, wird da¬
„Und Sie sind ein alter Esel!“ schreit der geschnittene Herr, er¬
richtige Wiener Litteraturgiger von diesem Arthur Schnitzler keine
hebt sich von seinem blutigen Pfühl und will sich auf den Dandy
Bissen Brot mehr nehmen wollen
mit der griechischen Lebensauffassung stürzen. Vier Arme werfen sich
Peter Altenberg hätte das richtige Zeug zum dol der Wiene
Snobs. Seine Poesien sind so verworren, daß man sich vor lauter dem wütenden Manne entgegen, von denen zwei dem Friseur ge¬
hören, der gewiß den Dichter Peter Altenberg gelesen hat, denn er
Tiefsinn gar nicht auskennt in ihnen. Aber es tauchen auch Licht
blicke von verblüffender Genialität in seinen Werken auf, beispiels beschwört die beiden Streitteile, Ruhe zu bewahren, mit den Worten
weise im „Prodromos", wo er mit dichterischem Ungestüm die Forde¬ „Meine sehr verehrten Herren“ — ruft er mit gekränkter Würde
rung aufstellt, der wahrhaft freie und unabhängige Mensch dürfe nichts ich bitte Sie, hier an dieser friedlichen Stätte das Paradigma der
anderes als Michreis essen, und dieser poetischen Forderung ein ästhetischen Kraft, sich äußerlich individuell zu gestalten, nicht durch
ganzes Kapitel seines Buches widmet. Peter Altenberg wäre also exzeptionelle Art um den künstlerischen Ausdruck zu bringen. . .
wiß der Dichter, der den Pulsschlag der Zeit versteht, allein
„Hol Sie der Teufel mit Ihrem Paradigma!“ schreit wütend
und das werden ihm seine bisherigen Anhänger niemals verzeihen der geschnittene Herr, entwindet sich gewaltsam den Händen, die ihn
nnen — Peter Altenberg hat es gottlob nicht mehr nötig, dem oben umklammern, und haut dem Dandy eine so gewaltige Ohrfeige
wähnten Pulsschlag zu horchen, denn er ist, man höre und staune, herunter, daß ihr Schall sogar bis zum Wachmann des nächsten
Kapitalist
Reviers dringt.
Man erinnert sich vielleicht, daß dieser Wiener Dichter sich ein¬
Jetzt heult und winselt zur Abwechslung das geprügelte Giger!
Zeitlang auch mit der Fabrikation von Rosenkränzen befaßte, die und er entblödet sich nicht einmal, die Hand vor das geschwollene
einen solch starken Absatz fanden, daß er in seiner Werkstatt mehrere Gesicht zu halten. Augenblicklich holt er den Wachmann herbei, der
junge Damen mit der Verfertigung von Rosenkränzen beschäftigen ein Protokoll aufnimmt. Beim Bezirksgericht, in drei bis vier
konnte. In Peter Altenbergs Brust wohnen zwei Seelen, die sich ganz Wochen bei der Ehrenbeleidigungsverhandlung, sehen sich die beiden,
gut miteinander vertragen: die Seele eines Dichters und die eines der Mann mit dem geschnittenen Ohr und der geohrfeigte Dandy,
praktischen Geschäftsmannes. Wenn der Dichter Milchreis=Rezepte in wieder
großer Anzahl geschrieben hatte, sagte er sich: Für heute hätte ich den
Unser Wiener Litteratur-Dandy ist jedoch nicht der Mann, der
Besten meiner Zeit genug getan, nun wollen wir mit den Rosen¬
sich durch derartige trübe Erfahrungen von seiner Mission, für
kränzen hausieren gehen! Das tat er denn auch, und das Geschaft Bildung und Aufklärung, Wurstigkeit und Blasiertheit, Gesinnungs¬
brachte ihm reichen Gewinn. Peter Altenberg, der Dichter=Hausierer
lebte nach der Maxime jenes armen Mannes, der täglich das Geber und Charakterlosigkeit und ähnliche philosophische Probleme mann¬
zum Himmel richtet: „Lieber Gott, ich bitte dich, mach, daß in der haft einzustehen, irgendwie beeinflussen ließe. Schon Tags darauf
sehen wir ihn in einem Restaurant sich über einen Herrn erbosen,
Welt lauter Millionäre leben und ich, ich allein, soll der einzig
Schnorrer sein — dann habe ich ausgesorgt, und mehr will ich nicht der über eine Speise, in der er irgend ein Haar gefunden, in ein
rohrspatzartiges Geschimpf ausbricht
von die
Der Gigerl ist darüber ungehalten. „Die Menschheit" — sagt
Solcher Art wurde Peter Altenberg, wie man sich erzählt, ein
er ziemlich spitz zu dem schimpfenden Herrn am Nebentisch — di¬
wohlhabender Mann. Aber seine dichterische Ader läßt deshalb
Menschheit nimmt sich viel zu ernst, das ist die Todsünde der Welt.
ebensowenig nach, wie sein Erwerbssing, und als er letzthin im Cas¬
Kinok am Graben gar mit lauter Stimme die These aufstellte, daß die Menschen, die alles allzu ernst nehmen, sollte man gänzlich aus¬
Nation ihm, dem Dichter und Vorläufer einer kommenden großen rotten; sie sind eine Plage der Welt und der Menschheit. Was ist
denn geschehen? Sie haben ein Haar in der Speise gefunden. Soll
Zeit, ein Denkmal in Form einer großen Subskription widmen sollte
Ihnen der Gastwirt vielleicht in jedes Knödel einen Dukaten hinein¬
da stob die Schar seiner Anhänger auseinander — und die Wiener
Litteratur=Gigerln sind um eine Illusion ärmer geworden. Aermer backen? Darüber ärgert man sich nicht, sondern man lacht, merken
ist Wien auch um eine Sehenswürdigkeit, wie keine zweite Stadt der Sie sich das, geschätzter Herr! Wenn die Höhlenbewohner schon
Welt sie bisher aufzuweisen hatte: Peter Altenberg, der ewig unausge¬
hätten lachen können, dann wäre die Weltgeschichte bei Gott anders
schlafene Dichter und Hausierer, wie er inmitten seiner getreuen ausgefallen.
Gigern jeden Vormittag vor dem Café Kiosk am Graben Cercle hielt
Unser Litteraturgiger ist ein Fanatiker der Wahrheit ebenso
O, daß hoch auf Erden hienieden nichts ewig dauert.
wie er den Armenleutgeruch nicht vertragen kann. Er schwört darauf
daß das neunzehnte Jahrhundert durch seine geradezu übermäßige
Oskar Wilde, dem die geölten Bonzen und Gigern der Wiene
Emission von Sympathie für die armen Mitmenschen zugrunde ge¬
Litteratur nunmehr ihre Begeisterung zugewendet haben, bietet der
Vorteil, daß er schon längst tot und die Lehrung, die ihm entgegen gangen ist und daß Gefahr drohe, das zwanzigste Jahrhundert werde
gebracht wird, mit keinerlei Kosten verbunden ist. Man kann für in denselben Fehler verfallen. Menschenwürde, Menschenliebe und
Wilde schwärmen, ohne daß dieser Dichter einen mit dem Antrag belähnliche Dinge hält er für lächerliche, ja geradezu gefährliche
lästigt: Kaufen Sie mir Oskar Wilde=Rosenkränze ab! Liest man in Sentimentalitäten, denen man beizeiten vorbeugen müsse, denn es
manchen Büchern Wildes, so werden im Leser die feinsten Stimmungen gebe nichts rückständigeres als diese sogenannten „sittlichen Gefühle,
ausgelöst, denen man in dem zum Drama vergröberten Doria Gra¬
Kommt er in eine Gesellschaft, so glänzt er mit dem erborgten
allerdings nicht wieder begegnet. Nebenbei gesagt: eine „Auslösung Geist Oskar Wildes, der jetzt überall stürmisch akklamiert wird. Einer
von Stimmungen und Gefühlen“ hat es früher gar nicht gegeben
jungen glücklichen Braut, der er vorgestellt wird, wirft er die freche
und darum wird man begreifen, wie schwer es Leuten von der älteren Frage ins Gesicht: „Verehrtes Fräulein Elvira, Sie gedenken wohl
Generation wird, allen Regungen der modernen Litteratur zu folgen, bald nach Ihrer Verehelichung sich einen Hausfreund zu halten?
Lebhaft erinnere ich mich, wie meine gute Mutter in der Küche Erbse¬
„Wie können Sie es wagen, mein Herr ..." stottert Fräulein
auslöste. Später, als lockerer Jüngling, habe ich ähnliches getan
Elvira ganz bestürzt
aber nicht in der Küche wie meine selige Mutter, sondern bei „Tant¬
„Ich wage es", erwidert er mit seinem frechsten Lachen, „weil ich
Dorothea, auch habe ich nicht Erbsen, sondern ab und zu meine Uhr Sie für eine wahrhaft tiefe Natur halte. Was die gemeine Menge
ausgelöst. Doch Stimmungen werden erst ausgelöst, seitdem di¬
mit dem Begriff „Anständigkeit" und „Treue verbindet, nenne ich
Moderne aufgekommen ist, früher hat sich so etwas gar niemals er
Starrkrampf der Gewohnheit oder Mangel an Einbildungskraft
eignet
„Gott, was Sie für ein geistreicher Mensch sind!" sagt Fräulein
Die Schwärmer für Oskar Wilde also lassen sich durch ihre
Elvira voll Bewunderung. „Aber in mir sollen Sie sich täuschen
Lieblings=Dichter allerlei Stimmungen en masse auslösen. Si
Ich werde meinem Eduard bis zu meinem letzten Athemzug die Treue
kleiden sich so dandhaft, wie er sich kleidete, und werfen den niedrigen
bewahren.
Erdenwurm von einem Schneider, wenn er mit der Schneiderrechnung
„Treue
Treue! Oh, daß ich nicht lache! Treue, was ist
näherzukommen sich erdreistet, zur Tür hinaus, wie der Dichter Oska
Treue Lassen Sie mich den Begriff einmal analisieren
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heiten, wie beispielsweise, wenn er des Morgens bei seinem Rasen¬
Dorian Gray und die Wiener Literaturgigern.
erscheint, wo bereits etliche Herren barbiert worden sind. Ein blut¬
junger Lehrling hat einem der Kunden das halbe Ohr wegbarbiert
(Original-Feuilleton der Breslauer Morgen=Zeitung.)
worüber der Mann begreiflicherweise sehr indigniert ist. Der Che
(Das Dorian Gray-Derby der Wiener Theaterdirektoren.
der Barbierstube und zwei seiner Gehilfen bemühen sich um das
Vom Modedichter Oskar Wilde. — Peter Altenbergs Milchreis¬
lädierte Ohr des geschnittenen Herrn, das sie mit Lapis behandeln
Rezepte und sein Niedergang. — Warum um Oskar Wilde ein
während der Malefikant das Waschbecken hält, das mit Blut bereits
solches Gerig ist. — Wiener Litteratur=Dandies und ihre
halb gefüllt ist. Der Patient stöhnt zum Steinerbarmen, doch der
Erlebnisse.)
Dandy ist über dieses Gestöhne furchtbar irritiert und schreit den
Das wichtigste, was sich bei uns im verflossenen Monat er Mann mit dem halben Ohr an:
gnete, ist das Bildnis des Dorian Gray. Nicht weniger als vier
„Halten Sie ein, Sie Plebejer!“ — schreit er ihn an — „halten
heaterdirektoren stritten sich um die Dramatisierung dieses Romanes Sie ein mit Ihrem läppischen Schmerzgeheul. Mit allem Möglichen
in Oskar Wilde, und als einer von ihnen den anderen um etliche kann ich Sympathie haben, außer mit Schmerzen! Sie sind zu hä߬
kasenlängen vorauseilend, den zum Melodram zerschung nen Roman
lich, zu schrecklich, zu niederdrückend, die sogenannten Schmerzen. In
virklich zur Aufführung brachte, stellte es sich heraus, daß es wahr
der modernen Sympathie für eingebildete Leiden ist etwas un¬
haftig kaum der Rede wert war. Trotzdem wird das unter der
glaublich Krankhaftes.
Flagge des unglücklichen englischen Dichters segelnde Theaterstück seine
„Glauben Sie — Sie angezogener Aff?", höhnt ihn der Herr
undert Aufführungen erleben, denn Oskar Wilde ist bei uns jetzt
mit dem halben Ohr, und wischt sich mit der linken Hand das Blut
ein Mode
aus dem Gesicht. „Sie können leicht reden, Sie angepampfter Mehl¬
Alle Snobs und sämtliche Flaschenputzer der Litteratur schwär wurm, Sie haben ja noch Ihr ganzes Ohr. Und schauen Sie, daß
nen jetzt für Wilde; womit sollten sie sich aber auch sonst die Zeit, Sie weiter kommen, sonst gibts ein Unglück.
vertreiben? Jede Zeit und gar jede Generation von Snobs brauch
Diese allzu drastische Ansprache hat den Dandy nicht wenig ent¬
hre Dichter, die unsrige
schmählich enttäuscht worden. Arthur rüstet: „Wie können Sie so plebejisch reden? Lernen Sie, mein
Schnitzler ist, seitdem er sich unters Joch der Ehe gebeugt, so eine Art
Herr, von den Spartanern; wir sollten überhaupt unser Leben so
Philister geworden. Sein süßes Mädel wird schon merklich säuerlich
einrichten, wie es die alten Griechen gelebt haben. Die alten
und nun gar, da Alfred von Berger mit feierlicher Geste eine litte
Griechen sympathisierten mit den Farben, mit der Schönheit, mi¬
tarische Lobrede auf Schnitzler gehalten und ihn damit gewissermaßen der Lebensfreude.
den vier Unsterblichen des deutschen Parnaß zugesellt hat, wird da¬
„Und Sie sind ein alter Esel!“ schreit der geschnittene Herr, er¬
richtige Wiener Litteraturgiger von diesem Arthur Schnitzler keine
hebt sich von seinem blutigen Pfühl und will sich auf den Dandy
Bissen Brot mehr nehmen wollen
mit der griechischen Lebensauffassung stürzen. Vier Arme werfen sich
Peter Altenberg hätte das richtige Zeug zum dol der Wiene
Snobs. Seine Poesien sind so verworren, daß man sich vor lauter dem wütenden Manne entgegen, von denen zwei dem Friseur ge¬
hören, der gewiß den Dichter Peter Altenberg gelesen hat, denn er
Tiefsinn gar nicht auskennt in ihnen. Aber es tauchen auch Licht
blicke von verblüffender Genialität in seinen Werken auf, beispiels beschwört die beiden Streitteile, Ruhe zu bewahren, mit den Worten
weise im „Prodromos", wo er mit dichterischem Ungestüm die Forde¬ „Meine sehr verehrten Herren“ — ruft er mit gekränkter Würde
rung aufstellt, der wahrhaft freie und unabhängige Mensch dürfe nichts ich bitte Sie, hier an dieser friedlichen Stätte das Paradigma der
anderes als Michreis essen, und dieser poetischen Forderung ein ästhetischen Kraft, sich äußerlich individuell zu gestalten, nicht durch
ganzes Kapitel seines Buches widmet. Peter Altenberg wäre also exzeptionelle Art um den künstlerischen Ausdruck zu bringen. . .
wiß der Dichter, der den Pulsschlag der Zeit versteht, allein
„Hol Sie der Teufel mit Ihrem Paradigma!“ schreit wütend
und das werden ihm seine bisherigen Anhänger niemals verzeihen der geschnittene Herr, entwindet sich gewaltsam den Händen, die ihn
nnen — Peter Altenberg hat es gottlob nicht mehr nötig, dem oben umklammern, und haut dem Dandy eine so gewaltige Ohrfeige
wähnten Pulsschlag zu horchen, denn er ist, man höre und staune, herunter, daß ihr Schall sogar bis zum Wachmann des nächsten
Kapitalist
Reviers dringt.
Man erinnert sich vielleicht, daß dieser Wiener Dichter sich ein¬
Jetzt heult und winselt zur Abwechslung das geprügelte Giger!
Zeitlang auch mit der Fabrikation von Rosenkränzen befaßte, die und er entblödet sich nicht einmal, die Hand vor das geschwollene
einen solch starken Absatz fanden, daß er in seiner Werkstatt mehrere Gesicht zu halten. Augenblicklich holt er den Wachmann herbei, der
junge Damen mit der Verfertigung von Rosenkränzen beschäftigen ein Protokoll aufnimmt. Beim Bezirksgericht, in drei bis vier
konnte. In Peter Altenbergs Brust wohnen zwei Seelen, die sich ganz Wochen bei der Ehrenbeleidigungsverhandlung, sehen sich die beiden,
gut miteinander vertragen: die Seele eines Dichters und die eines der Mann mit dem geschnittenen Ohr und der geohrfeigte Dandy,
praktischen Geschäftsmannes. Wenn der Dichter Milchreis=Rezepte in wieder
großer Anzahl geschrieben hatte, sagte er sich: Für heute hätte ich den
Unser Wiener Litteratur-Dandy ist jedoch nicht der Mann, der
Besten meiner Zeit genug getan, nun wollen wir mit den Rosen¬
sich durch derartige trübe Erfahrungen von seiner Mission, für
kränzen hausieren gehen! Das tat er denn auch, und das Geschaft Bildung und Aufklärung, Wurstigkeit und Blasiertheit, Gesinnungs¬
brachte ihm reichen Gewinn. Peter Altenberg, der Dichter=Hausierer
lebte nach der Maxime jenes armen Mannes, der täglich das Geber und Charakterlosigkeit und ähnliche philosophische Probleme mann¬
zum Himmel richtet: „Lieber Gott, ich bitte dich, mach, daß in der haft einzustehen, irgendwie beeinflussen ließe. Schon Tags darauf
sehen wir ihn in einem Restaurant sich über einen Herrn erbosen,
Welt lauter Millionäre leben und ich, ich allein, soll der einzig
Schnorrer sein — dann habe ich ausgesorgt, und mehr will ich nicht der über eine Speise, in der er irgend ein Haar gefunden, in ein
rohrspatzartiges Geschimpf ausbricht
von die
Der Gigerl ist darüber ungehalten. „Die Menschheit" — sagt
Solcher Art wurde Peter Altenberg, wie man sich erzählt, ein
er ziemlich spitz zu dem schimpfenden Herrn am Nebentisch — di¬
wohlhabender Mann. Aber seine dichterische Ader läßt deshalb
Menschheit nimmt sich viel zu ernst, das ist die Todsünde der Welt.
ebensowenig nach, wie sein Erwerbssing, und als er letzthin im Cas¬
Kinok am Graben gar mit lauter Stimme die These aufstellte, daß die Menschen, die alles allzu ernst nehmen, sollte man gänzlich aus¬
Nation ihm, dem Dichter und Vorläufer einer kommenden großen rotten; sie sind eine Plage der Welt und der Menschheit. Was ist
denn geschehen? Sie haben ein Haar in der Speise gefunden. Soll
Zeit, ein Denkmal in Form einer großen Subskription widmen sollte
Ihnen der Gastwirt vielleicht in jedes Knödel einen Dukaten hinein¬
da stob die Schar seiner Anhänger auseinander — und die Wiener
Litteratur=Gigerln sind um eine Illusion ärmer geworden. Aermer backen? Darüber ärgert man sich nicht, sondern man lacht, merken
ist Wien auch um eine Sehenswürdigkeit, wie keine zweite Stadt der Sie sich das, geschätzter Herr! Wenn die Höhlenbewohner schon
Welt sie bisher aufzuweisen hatte: Peter Altenberg, der ewig unausge¬
hätten lachen können, dann wäre die Weltgeschichte bei Gott anders
schlafene Dichter und Hausierer, wie er inmitten seiner getreuen ausgefallen.
Gigern jeden Vormittag vor dem Café Kiosk am Graben Cercle hielt
Unser Litteraturgiger ist ein Fanatiker der Wahrheit ebenso
O, daß hoch auf Erden hienieden nichts ewig dauert.
wie er den Armenleutgeruch nicht vertragen kann. Er schwört darauf
daß das neunzehnte Jahrhundert durch seine geradezu übermäßige
Oskar Wilde, dem die geölten Bonzen und Gigern der Wiene
Emission von Sympathie für die armen Mitmenschen zugrunde ge¬
Litteratur nunmehr ihre Begeisterung zugewendet haben, bietet der
Vorteil, daß er schon längst tot und die Lehrung, die ihm entgegen gangen ist und daß Gefahr drohe, das zwanzigste Jahrhundert werde
gebracht wird, mit keinerlei Kosten verbunden ist. Man kann für in denselben Fehler verfallen. Menschenwürde, Menschenliebe und
Wilde schwärmen, ohne daß dieser Dichter einen mit dem Antrag belähnliche Dinge hält er für lächerliche, ja geradezu gefährliche
lästigt: Kaufen Sie mir Oskar Wilde=Rosenkränze ab! Liest man in Sentimentalitäten, denen man beizeiten vorbeugen müsse, denn es
manchen Büchern Wildes, so werden im Leser die feinsten Stimmungen gebe nichts rückständigeres als diese sogenannten „sittlichen Gefühle,
ausgelöst, denen man in dem zum Drama vergröberten Doria Gra¬
Kommt er in eine Gesellschaft, so glänzt er mit dem erborgten
allerdings nicht wieder begegnet. Nebenbei gesagt: eine „Auslösung Geist Oskar Wildes, der jetzt überall stürmisch akklamiert wird. Einer
von Stimmungen und Gefühlen“ hat es früher gar nicht gegeben
jungen glücklichen Braut, der er vorgestellt wird, wirft er die freche
und darum wird man begreifen, wie schwer es Leuten von der älteren Frage ins Gesicht: „Verehrtes Fräulein Elvira, Sie gedenken wohl
Generation wird, allen Regungen der modernen Litteratur zu folgen, bald nach Ihrer Verehelichung sich einen Hausfreund zu halten?
Lebhaft erinnere ich mich, wie meine gute Mutter in der Küche Erbse¬
„Wie können Sie es wagen, mein Herr ..." stottert Fräulein
auslöste. Später, als lockerer Jüngling, habe ich ähnliches getan
Elvira ganz bestürzt
aber nicht in der Küche wie meine selige Mutter, sondern bei „Tant¬
„Ich wage es", erwidert er mit seinem frechsten Lachen, „weil ich
Dorothea, auch habe ich nicht Erbsen, sondern ab und zu meine Uhr Sie für eine wahrhaft tiefe Natur halte. Was die gemeine Menge
ausgelöst. Doch Stimmungen werden erst ausgelöst, seitdem di¬
mit dem Begriff „Anständigkeit" und „Treue verbindet, nenne ich
Moderne aufgekommen ist, früher hat sich so etwas gar niemals er
Starrkrampf der Gewohnheit oder Mangel an Einbildungskraft
eignet
„Gott, was Sie für ein geistreicher Mensch sind!" sagt Fräulein
Die Schwärmer für Oskar Wilde also lassen sich durch ihre
Elvira voll Bewunderung. „Aber in mir sollen Sie sich täuschen
Lieblings=Dichter allerlei Stimmungen en masse auslösen. Si
Ich werde meinem Eduard bis zu meinem letzten Athemzug die Treue
kleiden sich so dandhaft, wie er sich kleidete, und werfen den niedrigen
bewahren.
Erdenwurm von einem Schneider, wenn er mit der Schneiderrechnung
„Treue
Treue! Oh, daß ich nicht lache! Treue, was ist
näherzukommen sich erdreistet, zur Tür hinaus, wie der Dichter Oska
Treue Lassen Sie mich den Begriff einmal analisieren