da einer von den aber ehefrau ihre habe, die
Hasenlängen vorauseilend, den zum Melodram zerschung den Roman lich, zu schrecklich, zu niederdrückend, die sogenannten Schmerzen. In
virklich zur Aufführung brachte, stellte es sich heraus, daß es wahr
der modernen Sympathie für eingebildete Leiden ist etwas un¬
hastig kaum der Rede wert war. Trotzdem wird das unter der
glaublich Krankhaftes.
Flagge des unglücklichen englischen Dichters segelnde Theaterstück seine
„Glauben Sie — Sie angezogener Aff?", höhnt ihn der Herr
hundert Aufführungen erleben, denn Oskar Wilde ist bei uns jetzt
mit dem halben Ohr, und wischt sich mit der linken Hand das Blut
the in Mode
aus dem Gesicht. „Sie können leicht reden, Sie angepampfter Mehl¬
Alle Snobs und sämtliche Flaschenputzer der Litteratur schwär wurm, Sie haben ja noch Ihr ganzes Ohr. Und schauen Sie, daß
nen jetzt für Wilde; womit sollten sie sich aber auch sonst die Zei¬
Sie weiter kommen, sonst gibts ein Unglück.
vertreiben? Jede Zeit und gar jede Generation von Snobs braucht
Diese allzu drastische Ansprache hat den Dandy nicht wenig ent¬
hre Dichter, die unsrige ist schmählich enttäuscht worden. Arthu
rüstet: „Wie können Sie so plebejisch reden? Lernen Sie, mein
Schnitzler ist, seitdem er sich unters Joch der Ehe gebeugt, so eine Ar
Herr, von den Spartanern; wir sollten überhaupt unser Leben so
Philister geworden. Sein süßes Mädel wird schon merklich säuerlich
einrichten, wie es die alten Griechen gelebt haben. Die alten
ind nun gar, da Alfred von Berger mit feierlicher Geste eine litt¬
tarische Lobrede auf Schnitzler gehalten und ihn damit gewissermaßen Griechen sympathisierten mit den Farben, mit der Schönheit, mit
der Lebensfreude.
den vier Unsterblichen des deutschen Parnaß zugesellt hat, wird da¬
„Und Sie sind ein alter Esel!“ schreit der geschnittene Herr, er¬
richtige Wiener Litteraturgiger von diesem Arthur Schnitzler keinen
hebt sich von seinem blutigen Pfühl und will sich auf den Dandy
Bissen Brot mehr nehmen wollen
Peter Altenberg hätte das richtige Zeug zum Idol der Wiener mit der griechischen Lebensauffassung stürzen. Vier Arme werfen sich
Snobs. Seine Poesien sind so verworren, daß man sich vor lauter dem wütenden Manne entgegen, von denen zwei dem Friseur ge¬
Tiefsinn gar nicht auskennt in ihnen. Aber es tauchen auch Licht hören, der gewiß den Dichter Peter Altenberg gelesen hat, denn er
blicke von verblüffender Genialität in seinen Werken auf, beispiels beschwört die beiden Streitteile, Ruhe zu bewahren, mit den Worten
„Meine sehr verehrten Herren“ — ruft er mit gekränkter Würde -
weise im „Prodromos", wo er mit dichterischem Ungestüm die Forde
rung aufstellt, der wahrhaft freie und unabhängige Mensch dürfe nichts ich bitte Sie, hier an dieser friedlichen Stätte das Paradigma der
anderes als Michreis essen, und dieser poetischen Forderung ein ästhetischen Kraft, sich äußerlich individuell zu gestalten, nicht durch
ganzes Kapitel seines Buches widmet. Peter Altenberg wäre also exeptionelle Art um den künstlerischen Ausdruck zu bringen.
„Hol Sie der Teufel mit Ihrem Paradigma!“ schreit wütend
wiß der Dichter, der den Pulsschlag der Zeit versteht, allein¬
und das werden ihm seine bisherigen Anhänger niemals verzeihen der geschnittene Herr, entwindet sich gewaltsam den Händen, die ihn
umklammern, und haut dem Dandy eine so gewaltige Ohrfeige
Innen — Peter Altenberg hat es gottlob nicht mehr nötig, dem oben
herunter, daß ihr Schall sogar bis zum Wachmann des nächsten
wähnten Pulsschlag zu horchen, denn er ist, man höre und staune
Reviers dringt.
Kapitalist
Man erinnert sich vielleicht, daß dieser Wiener Dichter sich ein
Jetzt heult und winselt zur Abwechslung das geprügelte Giger
Zeitlang auch mit der Fabrikation von Rosenkränzen befaßte, di
und er entblödet sich nicht einmal, die Hand vor das geschwollen¬
einen solch starken Absatz fanden, daß er in seiner Werkstatt mehrere Gesicht zu halten. Augenblicklich holt er den Wachmann herbei, der
junge Damen mit der Verfertigung von Rosenkränzen beschäftigen ein Protokoll aufnimmt. Beim Bezirksgericht, in drei bis vier
konnte. In Peter Altenbergs Brust wohnen zwei Seelen, die sich ganz Wochen bei der Ehrenbeleidigungsverhandlung, sehen sich die beiden,
gut miteinander vertragen: die Seele eines Dichters und die eine
der Mann mit dem geschnittenen Ohr und der geohrfeigte Dandy,
praktischen Geschäftsmannes. Wenn der Dichter Milchreis=Rezepte in
wieder.
großer Anzahl geschrieben hatte, sagte er sich: Für heute hätte ich den
Unser Wiener Litteratur=Dandy ist jedoch nicht der Mann, der
Besten meiner Zeit genug getan, nun wollen wir mit den Rosen
sich durch derartige trübe Erfahrungen von seiner Mission, für
kränzen hausieren gehen! Das tat er denn auch, und das Geschaft Bildung und Aufklärung, Wurstigkeit und Blasiertheit, Gesinnungs¬
brachte ihm reichen Gewinn. Peter Altenberg, der Dichter=Hausierer
und Charakterlosigkeit und ähnliche philosophische Probleme mann¬
lebte nach der Maxime jenes armen Mannes, der täglich das Geber haft einzustehen, irgendwie beeinflussen ließe. Schon Tags darauf
zum Himmel richtet: „Lieber Gott, ich bitte dich, mach, daß in der
sehen wir ihn in einem Restaurant sich über einen Herrn erbosen
Welt lauter Millionäre leben und ich, ich allein, soll der einzig
Schnorrer sein — dann habe ich ausgesorgt, und mehr will ich nicht der über eine Speise, in der er irgend ein Haar gefunden, in ein
rohrspatzartiges Geschimpf ausbricht
von dir!“
Der Gigerl ist darüber ungehalten. „Die Menschheit“
sagt
Solcher Art wurde Peter Altenberg, wie man sich erzählt, ein
wohlhabender Mann. Aber seine dichterische Ader läßt deshalb, ziemlich spitz zu dem schimpfenden Herrn am Nebentisch
ebensowenig nach, wie sein Erwerbssinn, und als er letzthin im Café Menschheit nimmt sich viel zu ernst, das ist die Todsünde der Welt.
Kiosk am Graben gar mit lauter Stimme die These aufstellte, daß die Menschen, die alles allzu ernst nehmen, sollte man gänzlich aus¬
rotten; sie sind eine Plage der Welt und der Menschheit. Was ist
Nation ihm, dem Dichter und Vorläufer einer kommenden großen
Zeit, ein Denkmal in Form einer großen Subskription widmen sollte, denn geschehen? Sie haben ein Haar in der Speise gefunden. Soll
Ihnen der Gastwirt vielleicht in jedes Knödel einen Dukaten hinein¬
da stob die Schar seiner Anhänger auseinander — und die Wiene
Litteratur=Gigerln sind um eine Illusion ärmer geworden. Aermer backen? Darüber ärgert man sich nicht, sondern man lacht, merken
ist Wien auch um eine Sehenswürdigkeit, wie keine zweite Stadt der Sie sich das, geschätzter Herr! Wenn die Höhlenbewohner schon
hätten lachen können, dann wäre die Weltgeschichte bei Gott anders
Welt sie bisher aufzuweisen hatte: Peter Altenberg, der ewig unausge¬
schlafene Dichter und Hausierer, wie er inmitten seiner getreuen ausgefallen.“
Unser Litteraturgiger ist ein Fanatiker der Wahrheit ebenso
Gigerln jeden Vormittag vor dem Café Kiosk am Graben Cercle hielt
wie er den Armenleutgeruch nicht vertragen kann. Er schwört darauf
O, daß doch auf Erden hienieden nichts ewig dauer¬
Oskar Wilde, dem die geölten Bonzen und Gigern der Wiener daß das neunzehnte Jahrhundert durch seine geradezu übermäßige
Litteratur nunmehr ihre Begeisterung zugewendet haben, bietet den Emission von Sympathie für die armen Mitmenschen zugrunde ge¬
gangen ist und daß Gefahr drohe, das zwanzigste Jahrhundert werde
Vorteil, daß er schon längst tot und die Verehrung, die ihm entgegen¬
gebracht wird, mit keinerlei Kosten verbunden ist. Man kann für in denselben Fehler verfallen. Menschenwürde, Menschenliebe und
Wilde schwärmen, ohne daß dieser Dichter einen mit dem Antrag belähnliche Dinge hält er für lächerliche, ja geradezu gefährliche
lästigt: Kaufen Sie mir Oskar Wilde=Rosenkränze ab! Liest man in Sentimentalitäten, denen man beizeiten vorbeugen müsse, denn es
manchen Büchern Wildes, so werden im Leser die feinsten Stimmungen gebe nichts rückständigeres als diese sogenannten „sittlichen Gefühle
Kommt er in eine Gesellschaft, so glänzt er mit dem erborgten
ausgelöst, denen man in dem zum Drama vergröberten Doria Gra¬
allerdings nicht wieder begegnet. Nebenbei gesagt: eine „Auslösung Geist Oskar Wildes, der jetzt überall stürmisch akklamiert wird. Einer
von Stimmungen und Gefühlen“ hat es früher gar nicht gegeben
jungen glücklichen Braut, der er vorgestellt wird, wirft er die freche
und darum wird man begreifen, wie schwer es Leuten von der älteren Frage ins Gesicht: „Verehrtes Fräulein Elvira, Sie gedenken w
Generation wird, allen Regungen der modernen Litteratur zu folgen, bald nach Ihrer Verehelichung sich einen Hausfreund zu halten?"
Lebhaft erinnere ich mich, wie meine gute Mutter in der Küche Erbsen
„Wie können Sie es wagen, mein Herr ..." stottert Fräulein
auslöste. Später, als lockerer Jüngling, habe ich ähnliches getan
Elvira ganz bestürzt.
aber nicht in der Küche wie meine selige Mutter, sondern bei „Tant
„Ich wage es", erwidert er mit seinem frechsten Lachen, „weil ich
Dorothea, auch habe ich nicht Erbsen, sondern ab und zu meine Uhr
Sie für eine wahrhaft tiefe Natur halte. Was die gemeine Menge
ausgelöst. Doch Stimmungen werden erst ausgelöst, seitdem die mit dem Begriff „Anständigkeit" und „Treue verbindet, nenne ich
Moderne aufgekommen ist, früher hat sich so etwas gar niemals er
Starrkrampf der Gewohnheit oder Mangel an Einbildung kraft
eignet
„Gott, was Sie für ein geistreicher Mensch sind!" sagt Fräulein
Die Schwärmer für Oskar Wilde also lassen sich durch ihren Elvira voll Bewunderung. „Aber in mir sollen Sie sich täuschen
Lieblings=Dichter allerlei Stimmungen en masse auslösen. Si¬
Ich werde meinem Eduard bis zu meinem letzten Athemzug die Treue
kleiden sich so dandhaft, wie er sich kleidete, und werfen den niedrigen bewahren.
Erdenwurm von einem Schneider, wenn er mit der Schneiderrechnung
Treue! Oh, daß ich nicht lache! Treue, was ist
„Treue
näherzukommen sich erdreistet, zur Tür hinaus, wie der Dichter Oskar Treue Lassen Sie mich den Begriff einmal analysieren. Die Freude
Wilde in ähnlichen Fällen es zu tun pflegte. Auch tragen sie Kra¬
am Besitz ist eines der Elemente. Eine ganze Menge Dinge gibt es
watten, die so breit sind, wie die Bauchbinde des Elefanten in Schön
brunn, wenn er sich unpäßlich fühlt, sie lassen sich täglich etliche male die man wegwerfen würde, wenn uns nicht die Furcht beseelte, daß
rasieren, schwärmen für paradoxe Redensarten und watscheln fort ein anderer sie aufklaubt. Hier, mein Fräulein, haben Sie den Begriff
während in einem Meer von Antithesen herum. Jawohl, der Wiener der Treue
Und Fräulein Elvira trippelt zu ihrer Mama und sagt ihr voll
Dandy, von dem in früheren Zeiten das Gerücht umherging, daß er
ein dummer Kerl sei, ist jetzt schrecklich geistreich geworden. Versucht Entzücken: „Nein, wie dieser Herr von Gigerlberger heut wieder so
man es, ihn in ein politisches Gespräch zu ziehen, so wird er sich mit viel geistreich ist!“ Erzählt ihr dann alle die feinen Aussprüche des
einigen spöttischen Redensarten aus der Affäre ziehen, denn eine Ge=espritvollen jungen Herrn, über die die Mama natürlich nicht minder
sinnung haben, ist doch nach modernen Wiener Begriffen das läpezt ist. So frist sich das Wiener Litteraturfrüchtel durch alle
Jours und gilt als der geistreichste Mann im ganzen Quaiviertel
pischeste, was einem Menschen passieren kann.
„Gesinnung — was heißt Gesinnung?“ wird er auf eine Anfrage Manchmal wird er irgendwo hinausgeworfen, manchmal auch nicht
erwidern: „Es gibt nichts häßlicheres, als dieses blödsinnige Wort. Erfolgt der große Wurf, so tröstet er sich mit den Worten des großen
Gesinnung heißt Stillstand. Ich kann Roheit in allen Formen ver= Wilde, daß der Weg zur Wahrheit über Paradoxen führe und leider
hier kratzt er sich nachdenklich den Rücken — ein ziemlich steiler sei
tragen, aber rohe Gesinnung ist mir zuwider. Ich finde immer, da
Aber allzu oft passiert ihm das Malheur nicht. Denn sein
ihr Gebrauch unanständig ist, unanständiger noch, als der Gebrauch
geistiger Brotherr, der Dichter Oskar Wilde, ist jetzt der gefeierte
der sogenannten Vernunft
Solche und ähnliche Redensarten hat der Wiener Litteratur= Modedichter von Wien. Alle Welt reißt sich jetzt um diesen Dichter,
Dandy den Werken des vielgeliebten Dichters Oskar Wilde abge¬ der Zeit seines Lebens so geistreich, so bizarr, so blasiert und sarkastisch
lauscht, und er bemüht sich, sie bei passenden Gelegenheiten an den und vor allem so gesinnungslos gewesen ist.
Calibag.
Mann zu bringen. Ab und zu freilich auch bei unpassenden Gelegen¬
Hasenlängen vorauseilend, den zum Melodram zerschung den Roman lich, zu schrecklich, zu niederdrückend, die sogenannten Schmerzen. In
virklich zur Aufführung brachte, stellte es sich heraus, daß es wahr
der modernen Sympathie für eingebildete Leiden ist etwas un¬
hastig kaum der Rede wert war. Trotzdem wird das unter der
glaublich Krankhaftes.
Flagge des unglücklichen englischen Dichters segelnde Theaterstück seine
„Glauben Sie — Sie angezogener Aff?", höhnt ihn der Herr
hundert Aufführungen erleben, denn Oskar Wilde ist bei uns jetzt
mit dem halben Ohr, und wischt sich mit der linken Hand das Blut
the in Mode
aus dem Gesicht. „Sie können leicht reden, Sie angepampfter Mehl¬
Alle Snobs und sämtliche Flaschenputzer der Litteratur schwär wurm, Sie haben ja noch Ihr ganzes Ohr. Und schauen Sie, daß
nen jetzt für Wilde; womit sollten sie sich aber auch sonst die Zei¬
Sie weiter kommen, sonst gibts ein Unglück.
vertreiben? Jede Zeit und gar jede Generation von Snobs braucht
Diese allzu drastische Ansprache hat den Dandy nicht wenig ent¬
hre Dichter, die unsrige ist schmählich enttäuscht worden. Arthu
rüstet: „Wie können Sie so plebejisch reden? Lernen Sie, mein
Schnitzler ist, seitdem er sich unters Joch der Ehe gebeugt, so eine Ar
Herr, von den Spartanern; wir sollten überhaupt unser Leben so
Philister geworden. Sein süßes Mädel wird schon merklich säuerlich
einrichten, wie es die alten Griechen gelebt haben. Die alten
ind nun gar, da Alfred von Berger mit feierlicher Geste eine litt¬
tarische Lobrede auf Schnitzler gehalten und ihn damit gewissermaßen Griechen sympathisierten mit den Farben, mit der Schönheit, mit
der Lebensfreude.
den vier Unsterblichen des deutschen Parnaß zugesellt hat, wird da¬
„Und Sie sind ein alter Esel!“ schreit der geschnittene Herr, er¬
richtige Wiener Litteraturgiger von diesem Arthur Schnitzler keinen
hebt sich von seinem blutigen Pfühl und will sich auf den Dandy
Bissen Brot mehr nehmen wollen
Peter Altenberg hätte das richtige Zeug zum Idol der Wiener mit der griechischen Lebensauffassung stürzen. Vier Arme werfen sich
Snobs. Seine Poesien sind so verworren, daß man sich vor lauter dem wütenden Manne entgegen, von denen zwei dem Friseur ge¬
Tiefsinn gar nicht auskennt in ihnen. Aber es tauchen auch Licht hören, der gewiß den Dichter Peter Altenberg gelesen hat, denn er
blicke von verblüffender Genialität in seinen Werken auf, beispiels beschwört die beiden Streitteile, Ruhe zu bewahren, mit den Worten
„Meine sehr verehrten Herren“ — ruft er mit gekränkter Würde -
weise im „Prodromos", wo er mit dichterischem Ungestüm die Forde
rung aufstellt, der wahrhaft freie und unabhängige Mensch dürfe nichts ich bitte Sie, hier an dieser friedlichen Stätte das Paradigma der
anderes als Michreis essen, und dieser poetischen Forderung ein ästhetischen Kraft, sich äußerlich individuell zu gestalten, nicht durch
ganzes Kapitel seines Buches widmet. Peter Altenberg wäre also exeptionelle Art um den künstlerischen Ausdruck zu bringen.
„Hol Sie der Teufel mit Ihrem Paradigma!“ schreit wütend
wiß der Dichter, der den Pulsschlag der Zeit versteht, allein¬
und das werden ihm seine bisherigen Anhänger niemals verzeihen der geschnittene Herr, entwindet sich gewaltsam den Händen, die ihn
umklammern, und haut dem Dandy eine so gewaltige Ohrfeige
Innen — Peter Altenberg hat es gottlob nicht mehr nötig, dem oben
herunter, daß ihr Schall sogar bis zum Wachmann des nächsten
wähnten Pulsschlag zu horchen, denn er ist, man höre und staune
Reviers dringt.
Kapitalist
Man erinnert sich vielleicht, daß dieser Wiener Dichter sich ein
Jetzt heult und winselt zur Abwechslung das geprügelte Giger
Zeitlang auch mit der Fabrikation von Rosenkränzen befaßte, di
und er entblödet sich nicht einmal, die Hand vor das geschwollen¬
einen solch starken Absatz fanden, daß er in seiner Werkstatt mehrere Gesicht zu halten. Augenblicklich holt er den Wachmann herbei, der
junge Damen mit der Verfertigung von Rosenkränzen beschäftigen ein Protokoll aufnimmt. Beim Bezirksgericht, in drei bis vier
konnte. In Peter Altenbergs Brust wohnen zwei Seelen, die sich ganz Wochen bei der Ehrenbeleidigungsverhandlung, sehen sich die beiden,
gut miteinander vertragen: die Seele eines Dichters und die eine
der Mann mit dem geschnittenen Ohr und der geohrfeigte Dandy,
praktischen Geschäftsmannes. Wenn der Dichter Milchreis=Rezepte in
wieder.
großer Anzahl geschrieben hatte, sagte er sich: Für heute hätte ich den
Unser Wiener Litteratur=Dandy ist jedoch nicht der Mann, der
Besten meiner Zeit genug getan, nun wollen wir mit den Rosen
sich durch derartige trübe Erfahrungen von seiner Mission, für
kränzen hausieren gehen! Das tat er denn auch, und das Geschaft Bildung und Aufklärung, Wurstigkeit und Blasiertheit, Gesinnungs¬
brachte ihm reichen Gewinn. Peter Altenberg, der Dichter=Hausierer
und Charakterlosigkeit und ähnliche philosophische Probleme mann¬
lebte nach der Maxime jenes armen Mannes, der täglich das Geber haft einzustehen, irgendwie beeinflussen ließe. Schon Tags darauf
zum Himmel richtet: „Lieber Gott, ich bitte dich, mach, daß in der
sehen wir ihn in einem Restaurant sich über einen Herrn erbosen
Welt lauter Millionäre leben und ich, ich allein, soll der einzig
Schnorrer sein — dann habe ich ausgesorgt, und mehr will ich nicht der über eine Speise, in der er irgend ein Haar gefunden, in ein
rohrspatzartiges Geschimpf ausbricht
von dir!“
Der Gigerl ist darüber ungehalten. „Die Menschheit“
sagt
Solcher Art wurde Peter Altenberg, wie man sich erzählt, ein
wohlhabender Mann. Aber seine dichterische Ader läßt deshalb, ziemlich spitz zu dem schimpfenden Herrn am Nebentisch
ebensowenig nach, wie sein Erwerbssinn, und als er letzthin im Café Menschheit nimmt sich viel zu ernst, das ist die Todsünde der Welt.
Kiosk am Graben gar mit lauter Stimme die These aufstellte, daß die Menschen, die alles allzu ernst nehmen, sollte man gänzlich aus¬
rotten; sie sind eine Plage der Welt und der Menschheit. Was ist
Nation ihm, dem Dichter und Vorläufer einer kommenden großen
Zeit, ein Denkmal in Form einer großen Subskription widmen sollte, denn geschehen? Sie haben ein Haar in der Speise gefunden. Soll
Ihnen der Gastwirt vielleicht in jedes Knödel einen Dukaten hinein¬
da stob die Schar seiner Anhänger auseinander — und die Wiene
Litteratur=Gigerln sind um eine Illusion ärmer geworden. Aermer backen? Darüber ärgert man sich nicht, sondern man lacht, merken
ist Wien auch um eine Sehenswürdigkeit, wie keine zweite Stadt der Sie sich das, geschätzter Herr! Wenn die Höhlenbewohner schon
hätten lachen können, dann wäre die Weltgeschichte bei Gott anders
Welt sie bisher aufzuweisen hatte: Peter Altenberg, der ewig unausge¬
schlafene Dichter und Hausierer, wie er inmitten seiner getreuen ausgefallen.“
Unser Litteraturgiger ist ein Fanatiker der Wahrheit ebenso
Gigerln jeden Vormittag vor dem Café Kiosk am Graben Cercle hielt
wie er den Armenleutgeruch nicht vertragen kann. Er schwört darauf
O, daß doch auf Erden hienieden nichts ewig dauer¬
Oskar Wilde, dem die geölten Bonzen und Gigern der Wiener daß das neunzehnte Jahrhundert durch seine geradezu übermäßige
Litteratur nunmehr ihre Begeisterung zugewendet haben, bietet den Emission von Sympathie für die armen Mitmenschen zugrunde ge¬
gangen ist und daß Gefahr drohe, das zwanzigste Jahrhundert werde
Vorteil, daß er schon längst tot und die Verehrung, die ihm entgegen¬
gebracht wird, mit keinerlei Kosten verbunden ist. Man kann für in denselben Fehler verfallen. Menschenwürde, Menschenliebe und
Wilde schwärmen, ohne daß dieser Dichter einen mit dem Antrag belähnliche Dinge hält er für lächerliche, ja geradezu gefährliche
lästigt: Kaufen Sie mir Oskar Wilde=Rosenkränze ab! Liest man in Sentimentalitäten, denen man beizeiten vorbeugen müsse, denn es
manchen Büchern Wildes, so werden im Leser die feinsten Stimmungen gebe nichts rückständigeres als diese sogenannten „sittlichen Gefühle
Kommt er in eine Gesellschaft, so glänzt er mit dem erborgten
ausgelöst, denen man in dem zum Drama vergröberten Doria Gra¬
allerdings nicht wieder begegnet. Nebenbei gesagt: eine „Auslösung Geist Oskar Wildes, der jetzt überall stürmisch akklamiert wird. Einer
von Stimmungen und Gefühlen“ hat es früher gar nicht gegeben
jungen glücklichen Braut, der er vorgestellt wird, wirft er die freche
und darum wird man begreifen, wie schwer es Leuten von der älteren Frage ins Gesicht: „Verehrtes Fräulein Elvira, Sie gedenken w
Generation wird, allen Regungen der modernen Litteratur zu folgen, bald nach Ihrer Verehelichung sich einen Hausfreund zu halten?"
Lebhaft erinnere ich mich, wie meine gute Mutter in der Küche Erbsen
„Wie können Sie es wagen, mein Herr ..." stottert Fräulein
auslöste. Später, als lockerer Jüngling, habe ich ähnliches getan
Elvira ganz bestürzt.
aber nicht in der Küche wie meine selige Mutter, sondern bei „Tant
„Ich wage es", erwidert er mit seinem frechsten Lachen, „weil ich
Dorothea, auch habe ich nicht Erbsen, sondern ab und zu meine Uhr
Sie für eine wahrhaft tiefe Natur halte. Was die gemeine Menge
ausgelöst. Doch Stimmungen werden erst ausgelöst, seitdem die mit dem Begriff „Anständigkeit" und „Treue verbindet, nenne ich
Moderne aufgekommen ist, früher hat sich so etwas gar niemals er
Starrkrampf der Gewohnheit oder Mangel an Einbildung kraft
eignet
„Gott, was Sie für ein geistreicher Mensch sind!" sagt Fräulein
Die Schwärmer für Oskar Wilde also lassen sich durch ihren Elvira voll Bewunderung. „Aber in mir sollen Sie sich täuschen
Lieblings=Dichter allerlei Stimmungen en masse auslösen. Si¬
Ich werde meinem Eduard bis zu meinem letzten Athemzug die Treue
kleiden sich so dandhaft, wie er sich kleidete, und werfen den niedrigen bewahren.
Erdenwurm von einem Schneider, wenn er mit der Schneiderrechnung
Treue! Oh, daß ich nicht lache! Treue, was ist
„Treue
näherzukommen sich erdreistet, zur Tür hinaus, wie der Dichter Oskar Treue Lassen Sie mich den Begriff einmal analysieren. Die Freude
Wilde in ähnlichen Fällen es zu tun pflegte. Auch tragen sie Kra¬
am Besitz ist eines der Elemente. Eine ganze Menge Dinge gibt es
watten, die so breit sind, wie die Bauchbinde des Elefanten in Schön
brunn, wenn er sich unpäßlich fühlt, sie lassen sich täglich etliche male die man wegwerfen würde, wenn uns nicht die Furcht beseelte, daß
rasieren, schwärmen für paradoxe Redensarten und watscheln fort ein anderer sie aufklaubt. Hier, mein Fräulein, haben Sie den Begriff
während in einem Meer von Antithesen herum. Jawohl, der Wiener der Treue
Und Fräulein Elvira trippelt zu ihrer Mama und sagt ihr voll
Dandy, von dem in früheren Zeiten das Gerücht umherging, daß er
ein dummer Kerl sei, ist jetzt schrecklich geistreich geworden. Versucht Entzücken: „Nein, wie dieser Herr von Gigerlberger heut wieder so
man es, ihn in ein politisches Gespräch zu ziehen, so wird er sich mit viel geistreich ist!“ Erzählt ihr dann alle die feinen Aussprüche des
einigen spöttischen Redensarten aus der Affäre ziehen, denn eine Ge=espritvollen jungen Herrn, über die die Mama natürlich nicht minder
sinnung haben, ist doch nach modernen Wiener Begriffen das läpezt ist. So frist sich das Wiener Litteraturfrüchtel durch alle
Jours und gilt als der geistreichste Mann im ganzen Quaiviertel
pischeste, was einem Menschen passieren kann.
„Gesinnung — was heißt Gesinnung?“ wird er auf eine Anfrage Manchmal wird er irgendwo hinausgeworfen, manchmal auch nicht
erwidern: „Es gibt nichts häßlicheres, als dieses blödsinnige Wort. Erfolgt der große Wurf, so tröstet er sich mit den Worten des großen
Gesinnung heißt Stillstand. Ich kann Roheit in allen Formen ver= Wilde, daß der Weg zur Wahrheit über Paradoxen führe und leider
hier kratzt er sich nachdenklich den Rücken — ein ziemlich steiler sei
tragen, aber rohe Gesinnung ist mir zuwider. Ich finde immer, da
Aber allzu oft passiert ihm das Malheur nicht. Denn sein
ihr Gebrauch unanständig ist, unanständiger noch, als der Gebrauch
geistiger Brotherr, der Dichter Oskar Wilde, ist jetzt der gefeierte
der sogenannten Vernunft
Solche und ähnliche Redensarten hat der Wiener Litteratur= Modedichter von Wien. Alle Welt reißt sich jetzt um diesen Dichter,
Dandy den Werken des vielgeliebten Dichters Oskar Wilde abge¬ der Zeit seines Lebens so geistreich, so bizarr, so blasiert und sarkastisch
lauscht, und er bemüht sich, sie bei passenden Gelegenheiten an den und vor allem so gesinnungslos gewesen ist.
Calibag.
Mann zu bringen. Ab und zu freilich auch bei unpassenden Gelegen¬