VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 122

13. Miscellaneous
box 44/10

zwischen Kind und Mann i
motto: „Niemals und ... immer derselbe berichtigt habe. Die
durch alle Schriften Bahrs
Selbstkorrektur gleicht hier der Schlange, die sich in den Schwanz
listischen und journalistischen
Fa.
beißt; wer sich am raschesten berichtigt und darum rastlos zu wan¬
decken von Widersprüchen, m
deln scheint, erkennt am ehesten das Unwandelbare, das in ihm
die Grenze der Sophistik
Zum fünfzigsten Geburtstag
liegt, und so greift der Gegensatz zwischen einstigen Tagen, in denen
Physiognomie Hermann Be¬
man die Konsequenz des öffentlichen Auftretens nicht hoch genug
Von Alfred Klaar.
seiner besten Lustspiele und
preisen konnte und jeden aufs Haupt zu schlagen meinte, dem
bar, wo der geborene Schalt
man einen Widerspruch zwischen den Aeußerungen von heute und
„Bitte ein wenig still zu halten und ein freundliches Gesicht zu
seine muntere Weltbetrachtu
ehegestern nachwies, und der Gegenwart, in der man den Mut
— diese Aufforderung ergeht jetzt besonders häufig an
Fangball spielt oder sich in
machen
der lauten Widersprüche bejubelt, gar nicht so tief, wie es den An¬
une sorgenvoll beschäftigten Literaten, seit durch eine neue
schein hat; dieser Kontrast berührt weit mehr die Mode des Sich schentums hinüberflüchtet.
Jubiläumswährung, die frischgeprägten Fünfziger in den öffent¬
der Heimat, das eine erg
ausspielens als den Grund des Seins. Zu allen Zeiten hat das
lichen Verkehr gekommen sind. Hermann Bahr, der am 19. Juli
funden, das Bahr redlich ern
Leben, auch das ehrlichste, für Widersprüche und die Natur, auch die
dieses Jahres aus der Presse kommt, wird es nicht leicht haben,
biegsamste, für Konsequenz gesorgt. Und worauf es ankam, war
Der Fünfziger von heute
den Anforderungen der Jubiläumsphotographen zu entsprechen.
niemals der Zwang, sich gleichzubleiben, ein Heroismus, der in
ration", die er mitvertritt
Stillehalten ist nicht seine Sache, ist ihm sogar, wie sein Fest¬
Lüge ausarten kann, sondern der Mut, sich in jedem Momente
Oesterreichs erst die Augen
biograph oder Panegyriker Willi Handl") auf 160 Seiten zu be¬
gleich zu sein, das heißt immer mit Ueberzeugung zu treffen und zu
die Vergangenheit kennt, der
weisen sucht, ganz unmöglich, und eine freundliche Miene gehört
irren. Hermann Bahr hat es an diesem Mute niemals fehlen
Oesterreich — einen ähnlich
nicht zum Repertoire seiner sonst überaus reichhaltigen literarischen
lassen und, soviel Anteil an seinen in vielen Farben schillernden
schichtlich sind sie nicht nur
Mimik. Immerhin sei ein Momentbildchen versucht. Allenfalls
Selbstbekenntnissen die Koketterie des Modeschriftstellers auch haben
im Rechte, sondern auch we
mit Hilfe von ein wenig Magnesiumlicht, wovon ein reichlicher
mag, doch in allem Wesentlichen ein eigenes, bewegtes, inneres
es in der Regel die jüngste
Vorrat in den Selbstbekenntnissen des jüngsten Jubilars aufge¬
Leben verdichtet. Das fast schon zu Tode gehetzte Wort „Entwick¬
will. Unsere Generation“
speichert ist.
lung" trifft auf ihn im Ur- und Tiefsinn der Sprache zu: er hat
Bahr, ist wohl auch schon di
Im Grunde ist alles Stillstehen und alle Bewegung relativ;
sich immer munter aufgewickelt und den Kern einer interessanten
Augen der ganz Jungen, und
wir messen Bewegtes an Bewegtem; deswegen gibt es doch Ziele
Persönlichkeit bloßgelegt, deren Temperament, von den mannig¬
Erbteil, das mitunter dem N
und Ruhepunkte für unsere Empfindung, mit denen wir für unser
faltigsten Fragen des Lebens berührt, in die lebhaftesten Schwin¬
nicht die Triebkraft verliert
Bedürfnis auslangen und auslangen mussen. Gerade der schnellste
gungen gerät und den Problemen, denen es an den Leib rückt, eine
Bahrs, der einst als jugen
Wirbel zeigt uns überdies eine geschlossene Figur, an der die
anregende oder doch aufreizende Seite abgewinnt. So sind seine in
Martyrium durchmachte, ist
vielen Ecken zu verschwinden scheinen, und so springt auch aus
Form und Wert sehr ungleichartigen Schriften — Dramen, Ro¬
hat es aufs schärfste betont
der Beweglichkeit Hermann Bahrs, von der in diesen Tagen nach
mane und Essays in Hülle und Fülle — in der Tat ein Zeitspiegel
nem Horneck, dem im „Ott
der ausgegebenen Parole viel die Rede sein wird, ein Typus her¬
geworden, und wenn man auch jenen Enthusiasten nicht bei¬
chronisten, in den Mund leg
vor, den man zu fassen und zu werten versuchen kann. Es ist
pflichten mag, die diesen Spiegel für einen untrüglichen aus¬
des jungen Wien. Desweg
keine Unterschätzung, weit eher eine gerechte Einschätzung, wenn
Stolz, auf dem Gesamtboden
geben, und sich über Haeckel, Mach und österreichische Verhältnisse
man feststellt: Hermann Bahr sieht sich doch weit ähnlicher, als
lieber aus den Quellen orientieren wird als aus dem Strom
gemessenem Abstande" nach
er selbst vermutet und als seine geschäftigen Lobredner uns glauben
zu sein, und Hermann Bahr
der Bahrschen Beredsamkeit — so steckt doch in dem Wechsel und
machen wollen.
seines ausgesprochenen Oest.
in der Buntheit der Anschauungen, die da zutage treten, viel scharfe
nächst noch etwas luftigen
Beobachtung, viel schlagfertiger Sinn für das Groteske und Ver¬
Der kluge, schlagfertige Oberösterreicher, der sich zu einem Mit¬
Schrifttums den Platz streit
kehrte, viel rasch kombinierender Witz und keck einschneidende Sa¬
führer der Wiener Literatur gemacht hat und der in so geschickten
werden die süddeutsch=österre
tire, die wir nicht missen möchten und die von den Zeitstimmungen
Wendungen den Uebergang von hemdärmeliger Polterfreudigkeit
Bette unserer Nationallitera
ein subjektiv gefärbtes Bild von eigentümlichem Reiz bieten.
zu sein geschliffenem Witz zu finden weiß, sagte uns gelegentlich
einmal selbst, wie wir ihn zu fassen haben. In den hübsch aus¬
ihren Verleugnung des Urst
In dem schon erwähnten „Hermann Bahr=Buch" finden sich ein aus
gesponnenen Anekdoten und erweiterten Epigrammen, die anlä߬
deutschen Norden wegen der
der letzten Zeit stammendes Porträt des Schriftstellers und ein
lich des Jubiläums zu einem Hermann Bahr=Buch) zusammen¬
Laufes, die noch im großen
Bildchen, das ihn in seinen frühen Kindertagen darstellt.
gefaßt wurden, erzählt er uns, wie er einmal in jungen Jahren
kennbar sind.
Typus von heute, der ein wenig verwitterte, trotzige Literaten¬
in ein Stammbuch, in dem er die Allerweltsphrase „Immer der¬
kopf mit den fliegenden Haupt= und Barthaaren, halb Philosoph,
Zwei Strömungen namen
selbe vorfand, die trotzige Gegendevise „Niemals derselbe einge¬
halb Bohémien, kontrastiert gar seltsam mit dem lachenden Köpf¬
kommen, sind nicht erst seit
tragen, und wie er später diese Renommage durch das Lebens¬
chen des wohlgepflegten Babys, das sich in einem Lehnstuhl wiegt:
zu verfolgen, sondern seit me
aber eine Querfalte auf der rechten Backe, die um den geschweif¬
überglänzt die Stammesart
*) „Hermann Bahr“ von Willi Handl, S. Fischer, Berlin.
ten Mund und die runde Nase das Selbstbehagen der Lustigkeit ver¬
hobenen Rede, ohne die urs¬
breitet, springt doch als stärkstes Kennzeichen der Aehnlichkeit
den Reiz lässiger Traumselig
**) „Das Hermann Bahr=Buch", S. Fischer, Berlin.