13. Miscellaneous
Feuilleton.
„Vom andern Ufer“.*)
Drei Einakter von Felix Salten.
Morituri stand über der ersten Einakter=Trilogie
(von Sudermann), die uns den straffsten Einakter, ihrem
Verfasser sein technisches Meisterstück („Fritzchen") gab.
Morituri sind auch Felix Saltens Helden: der schwind¬
süchtige Aristokrat, der vom Tode auferstandene Lebemann
und selbst der entlarte Hochstapler; denn obwohl ihm
sein Betrug — es ist eine pia traus, in seinen wie in
des Dichters Angen — nicht den Kopf kosten wird, sieht
er mit Verzweiflung sein schönes Lebenswerk zusammen¬
stürzen, hat er die Empfindung, daß „alles vorbei, daß
der einzige ist, der die Zeche bezahlt. „Letzte Worte
„onnte Saldens Zyklus heißen. Mit einem von ihm
selbst geprägten Terminus. Er zog es vor, ihn „Vom
andern Ufer zu nennen. Schließlich läßt sich auch dieser
Titel voll symbolischer Gebärde rechtfertigen. Man soll
Titel nicht auf die Goldwage legen. Ohne kleine Ge¬
waltsamkeiten geht es selten ab. Drei verschiedene Wein¬
sorten tragen nicht einmal dasselbe Etikett. Einerlei:
legen wir lieber die Werkchen auf die Goldwage
Graf Festenberg.
Joseph Wessely (für die Aufführung am Lessing¬
Theater norddeutsch „Müller" umgetauft, hat bei einem
Dragonerregiment gedient, ging dann nach New-York
zu Delmonico, wo er sich ein Vermögen erwarb
glauben wir es ihm aufs Wort! — kam dann nach
*) S. Fischer Verlag, Berlin
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Paris ins Hotel Scribe, trotzdem er schon ein Vermögen
in der Tasche hatte, wo damals die Komtesse Helene
Laurentin mit ihrem Oheim, dem Reichsgrafen, wohnte.
Sie sehen und lieben war für den Kellner eins. „Es
gibt so viele Grafen, die Kellner geworden sind, warum
soll denn ein Kellner nicht einmal Graf werden?", das
war der Gedanke, der ihn fortan beherrschte. In seiner
dienenden Stellung fühlte er sich als „das Opfer eines
Besetzungsfehlers
— seltsam, in so feuilletonistischer
Terminologie denkt ein Mensch, der keine Theaterstücke
schreibt! —, der Kellner kam sich als verkappter Graf
vor. Und die Transformation war ihm leicht. Er hatte
in Amerika die Papiere eines elend zugrunde gegan¬
genen Grafen Festenberg angekauft. Was hinderte ihn
noch, sich für den Verschollenen auszugeben? Er brauchte
sich nur einen Bart wachsen zu lassen, um von der Ge¬
liebten, wenn er wieder vor sie hintrat, nicht erkannt
zu werden. Aber er hatte die Rechnung ohne den Vetter
gemacht, den abgewiesenen Vetter seiner Frau, der dem
hergelaufenen Kerl stets mit Mißtrauen begegnet war
und jetzt seine Vergangenheit aufdeckt. Der Herr Graf
wird ins Gefängnis spazieren. Doch vorher entwickelt
er in wohlgesetzter Rede seine Theorie, die in dem Satze
gipfelt: „Ich habe mich zu dem gemacht, zu was ich
geboren bin!“ Und er begründet sein Recht zu solchem
Tun damit, daß das Leben so stümperhaft, so lächer¬
lich zufällig, so talentos" sei.
Der Kellner als Programmatiker! Joseph Wessely
das Sprachrohr Felix Saltens! Wie Mephisto verkün¬
det er: „Vom Rechte, das mit uns geboren ist, von dem
ist, leider! nie die Frage.“ Ein geborner Aristokrat
(wie der rachsüchtige Vetter) kann eine Bureaukraten¬
natur sein, ein Kellner das Zeug zu einem Aristokraten
haben. Ein jeder darf die lächerliche Stümper
Schicksals" verbessern. Warum nicht? Diese W
ist so alt wie der Thüringer Wald. Glaubt sie
Salten im Ernst? Wir werden sehen, daß er im
ten Stück seinen gräflichen Kellner widerlegt oder
mindesten die Kehrseite der Medaille zeigt. Sol
daraus ein Strick gedreht werden? Durchaus
schließlich ist kein Gedanke richtig oder falsch;
Logik leiht ihm den größeren oder geringeren
von Wahrscheinlichkeit. Alles hängt von dem
punkt des Denkenden ab, von seinen Erfahrungen
Summe seiner Lebensschicksale und nicht zum min
von seinem Temperament. Und doch — keiner
über den Zufall seiner Geburt hinweg. Joseph A
will ihn nicht gelten lassen; aber er ist viel zu ge¬
um nicht zu wissen, daß Ausnahmen auch hier un
Regel bestätigen.
Salten hat in der Wahl seines Stoffes einen
ordentlich glücklichen Griff getan. In der Figur
vornehmen Schwindlers, der sich nicht bereichern,
dern auf den ihm kraft seiner Tüchtigkeit gebühr
Platz in der Gesellschaft stellen will — in dieser
steckt Erfindungsgabe. Freilich geht es nicht ganz
gewagte Voraussetzungen ab, die man immerhin
Freude über die Kühnheit der Fabel ruhig hinne
darf. Bedenklicher scheinen mir die Folgerungen
von einem sehr bürgerlichen Kopf gezogen werden.
Der Ernst des Lebens.
Es ist ein Januskopf. Hier zeigt er seine
seite. Verteidigt die Auffassung, daß das Leben geen
die einzige Form sei, „sich des Lebens einigerm
Feuilleton.
„Vom andern Ufer“.*)
Drei Einakter von Felix Salten.
Morituri stand über der ersten Einakter=Trilogie
(von Sudermann), die uns den straffsten Einakter, ihrem
Verfasser sein technisches Meisterstück („Fritzchen") gab.
Morituri sind auch Felix Saltens Helden: der schwind¬
süchtige Aristokrat, der vom Tode auferstandene Lebemann
und selbst der entlarte Hochstapler; denn obwohl ihm
sein Betrug — es ist eine pia traus, in seinen wie in
des Dichters Angen — nicht den Kopf kosten wird, sieht
er mit Verzweiflung sein schönes Lebenswerk zusammen¬
stürzen, hat er die Empfindung, daß „alles vorbei, daß
der einzige ist, der die Zeche bezahlt. „Letzte Worte
„onnte Saldens Zyklus heißen. Mit einem von ihm
selbst geprägten Terminus. Er zog es vor, ihn „Vom
andern Ufer zu nennen. Schließlich läßt sich auch dieser
Titel voll symbolischer Gebärde rechtfertigen. Man soll
Titel nicht auf die Goldwage legen. Ohne kleine Ge¬
waltsamkeiten geht es selten ab. Drei verschiedene Wein¬
sorten tragen nicht einmal dasselbe Etikett. Einerlei:
legen wir lieber die Werkchen auf die Goldwage
Graf Festenberg.
Joseph Wessely (für die Aufführung am Lessing¬
Theater norddeutsch „Müller" umgetauft, hat bei einem
Dragonerregiment gedient, ging dann nach New-York
zu Delmonico, wo er sich ein Vermögen erwarb
glauben wir es ihm aufs Wort! — kam dann nach
*) S. Fischer Verlag, Berlin
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box 44/10
Paris ins Hotel Scribe, trotzdem er schon ein Vermögen
in der Tasche hatte, wo damals die Komtesse Helene
Laurentin mit ihrem Oheim, dem Reichsgrafen, wohnte.
Sie sehen und lieben war für den Kellner eins. „Es
gibt so viele Grafen, die Kellner geworden sind, warum
soll denn ein Kellner nicht einmal Graf werden?", das
war der Gedanke, der ihn fortan beherrschte. In seiner
dienenden Stellung fühlte er sich als „das Opfer eines
Besetzungsfehlers
— seltsam, in so feuilletonistischer
Terminologie denkt ein Mensch, der keine Theaterstücke
schreibt! —, der Kellner kam sich als verkappter Graf
vor. Und die Transformation war ihm leicht. Er hatte
in Amerika die Papiere eines elend zugrunde gegan¬
genen Grafen Festenberg angekauft. Was hinderte ihn
noch, sich für den Verschollenen auszugeben? Er brauchte
sich nur einen Bart wachsen zu lassen, um von der Ge¬
liebten, wenn er wieder vor sie hintrat, nicht erkannt
zu werden. Aber er hatte die Rechnung ohne den Vetter
gemacht, den abgewiesenen Vetter seiner Frau, der dem
hergelaufenen Kerl stets mit Mißtrauen begegnet war
und jetzt seine Vergangenheit aufdeckt. Der Herr Graf
wird ins Gefängnis spazieren. Doch vorher entwickelt
er in wohlgesetzter Rede seine Theorie, die in dem Satze
gipfelt: „Ich habe mich zu dem gemacht, zu was ich
geboren bin!“ Und er begründet sein Recht zu solchem
Tun damit, daß das Leben so stümperhaft, so lächer¬
lich zufällig, so talentos" sei.
Der Kellner als Programmatiker! Joseph Wessely
das Sprachrohr Felix Saltens! Wie Mephisto verkün¬
det er: „Vom Rechte, das mit uns geboren ist, von dem
ist, leider! nie die Frage.“ Ein geborner Aristokrat
(wie der rachsüchtige Vetter) kann eine Bureaukraten¬
natur sein, ein Kellner das Zeug zu einem Aristokraten
haben. Ein jeder darf die lächerliche Stümper
Schicksals" verbessern. Warum nicht? Diese W
ist so alt wie der Thüringer Wald. Glaubt sie
Salten im Ernst? Wir werden sehen, daß er im
ten Stück seinen gräflichen Kellner widerlegt oder
mindesten die Kehrseite der Medaille zeigt. Sol
daraus ein Strick gedreht werden? Durchaus
schließlich ist kein Gedanke richtig oder falsch;
Logik leiht ihm den größeren oder geringeren
von Wahrscheinlichkeit. Alles hängt von dem
punkt des Denkenden ab, von seinen Erfahrungen
Summe seiner Lebensschicksale und nicht zum min
von seinem Temperament. Und doch — keiner
über den Zufall seiner Geburt hinweg. Joseph A
will ihn nicht gelten lassen; aber er ist viel zu ge¬
um nicht zu wissen, daß Ausnahmen auch hier un
Regel bestätigen.
Salten hat in der Wahl seines Stoffes einen
ordentlich glücklichen Griff getan. In der Figur
vornehmen Schwindlers, der sich nicht bereichern,
dern auf den ihm kraft seiner Tüchtigkeit gebühr
Platz in der Gesellschaft stellen will — in dieser
steckt Erfindungsgabe. Freilich geht es nicht ganz
gewagte Voraussetzungen ab, die man immerhin
Freude über die Kühnheit der Fabel ruhig hinne
darf. Bedenklicher scheinen mir die Folgerungen
von einem sehr bürgerlichen Kopf gezogen werden.
Der Ernst des Lebens.
Es ist ein Januskopf. Hier zeigt er seine
seite. Verteidigt die Auffassung, daß das Leben geen
die einzige Form sei, „sich des Lebens einigerm