VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 128

box 44/10
13. Miscellaneous
haben. Ein jeder darf die lächerliche Stümperei des
Paris ins Hotel Scribe, trotzdem er schon ein Vermögen
Schicksals" verbessern. Warum nicht? Diese Weisheit
in der Tasche hatte, wo damals die Komtesse Helene
ist so alt wie der Thüringer Wald. Glaubt sie Felix
Laurentin mit ihrem Oheim, dem Reichsgrafen, wohnte
Salten im Ernst? Wir werden sehen, daß er im zwei¬
Sie sehen und lieben war für den Kellner eins. „Es
ten Stück seinen gräflichen er widerlegt oder zum
gibt so viele Grafen, die Kellner geworden sind, warum
mindesten die Kehrseite der tille zeigt. Soll ihm
soll denn ein Kellner nicht einmal Graf werden?", das
daraus ein Strick gedreht den Durchaus nicht:
war der Gedanke, der ihn fortan beherrschte. In seiner
schließlich ist kein Gedanke richtig oder falsch; unsere
dienenden Stellung fühlte er sich als „das Opfer eines
Logik leiht ihm den größeren oder geringeren Grad
— seltsam, in so feuilletonistischer
Besetzungsfehlers“
von Wahrscheinlichkeit. Alles hängt von dem Stand¬
Terminologie denkt ein Mensch, der keine Theaterstücke
punkt des Denkenden ab, von seinen Erfahrungen, der
schreibt! —, der Kellner kam sich als verkappter Graf
Summe seiner Lebensschicksale und nicht zum mindesten
vor. Und die Transformation war ihm leicht. Er hatte
von seinem Temperament. Und doch — keiner kann
in Amerika die Papiere eines elend zugrunde gegan¬
über den Zufall seiner Geburt hinweg. Joseph Wessely
genen Grafen Festenberg angekauft. Was hinderte ihn
will ihn nicht gelten lassen; aber er ist viel zu gescheit,
noch, sich für den Verschollenen auszugeben? Er brauchte
um nicht zu wissen, daß Ausnahmen auch hier nur die
sich nur einen Bart wachsen zu lassen, um von der Ge¬
liebten, wenn er wieder vor sie hintrat, nicht erkannt Regel bestätigen.
Salten hat in der Wahl seines Stoffes einen außer¬
zu werden. Aber er hatte die Rechnung ohne den Vetter
ordentlich glücklichen Griff getan. In der Figur des
gemacht, den abgewiesenen Vetter seiner Frau, der dem
vornehmen Schwindlers, der sich nicht bereichern, son¬
hergelaufenen Kerl stets mit Mißtrauen begegnet war
dern auf den ihm kraft seiner Tüchtigkeit gebührenden
und jetzt seine Vergangenheit aufdeckt. Der Herr Graf
Platz in der Gesellschaft stellen will — in dieser Figur
wird ins Gefängnis spazieren. Doch vorher entwickelt
steckt Erfindungsgabe. Freilich geht es nicht ganz ohne
er in wohlgesetzter Rede seine Theorie, die in dem Satze
gewagte Voraussetzungen ab, die man immerhin aus
gipfelt: „Ich habe mich zu dem gemacht, zu was ich
Freude über die Kühnheit der Fabel ruhig hinnehmen
geboren bin!“ Und er begründet sein Recht zu solchem
darf. Bedenklicher scheinen mir die Folgerungen, die
Tun damit, daß das Leben so stümperhaft, so lächer¬
von einem sehr bürgerlichen Kopf gezogen werden.
lich zufällig, so talentlos" sei.
Der Kellner als Programmatiker! Joseph Wessely
das Sprachrohr Felix Saltens! Wie Mephisto verkün¬
Der Ernst des Lebens.
det er: „Vom Rechte, das mit uns geboren ist, von dem
Es ist ein Januskopf. Hier zeigt er seine Rück¬
ist, leider! nie die Frage.“ Ein geborner Aristokrat
seite. Verteidigt die Auffassung, daß das Leben genießen
(wie der rachsüchtige Vetter) kann eine Bureaukraten¬
die einzige Form sei, „sich des Lebens einigermaßen
natur sein, ein Kellne das Zeug zu einem Aristokraten
würdig zu erweisen.“ Ein junger Aristokrat bekennt
voll Stolz, daß er sich sehr unglücklich fühlen würde,
wenn er arbeiten müßte. Ihm gilt ein Beruf als „die
Einseitigkeit zum Prinzip erhoben", Nichtstun als
Talent, zu dem zwei Dinge gehören: Geld und Geist.
Den Nützlichkeitsstandpunkt der meisten Menschen be¬
spöttelt er, weil sie mit ihrer Nützlichkeit genau das¬
selbe tun wollen, was er ohne sie tun könne: leben.
Dieser kleinere Vetter des Herrn v. Sala (aus Schnitz¬
lers „Einsamem Weg") schaut geringschätzig auf die
bürgerliche Tüchtigkeit herab, weil sie nicht freier Wahl,
sondern herber Notwendigkeit entspringt. Und man
fühlt: der Dichter sympathisiert mit solchen Ansichten,
genau so wie er vorher für die Devise des Kellners ein¬
trat: dem Tüchtigen gehört die Welt. Was ist nun
richtig, was falsch? Schließlich ist kein Gedanke richtig
oder falsch; unsere Logik leiht ihm den größeren oder
geringern Grad von Wahrscheinlichkeit.
... Wahrscheinlichkeit. Sie ist unentbehrlich für die
Ausgestaltung eines realistischen Vorwurfs, wie er hier
vorliegt. Aber Salten hat sie ein wenig auf die leichte
Schulter genommen. Die Voraussetzungen müssen stim¬
men, wenn wir die Konsequenzen glauben sollen. Doch
hier werden uns Dinge zugemutet, gegen die sich unsere
Erfahrung sträubt. Wir sagen uns: so wie dieser Fall
dargestellt ist, hat er sich nun und nimmer begeben,
kann er sich nicht im Ernst des Lebens zugetragen
haben; und eine der Wirklichkeit abgelauschte Dichtung
ist kein Spiel, weil sie eben nicht von gewissen Voraus¬
setzungen abstrahieren kann. Ein junger Müßiggänger,
dessen Hauptbeschäftigung naturgemäß die Beobachtung
und Pflege seines Körpers bildet, läßt sich nicht erst,
wenn er an Lungenschwindsucht leidet, so spät vom