VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 134

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13. Miscellaneous

So fehlt jedoch anderseits nicht an som


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Asiaten vermischt, exquisite Abenteurer, mit der alten die in ihrer gräßlichen Wucht etwas beinahe Antikes hat.
der Bewohner ist bäuerisch. Bäuerisch im Leben und
Das andere ist der „Michael Gaißmayr), eine Tragödie
Trauer der Nation drapirt, neben wüsten, stöhnender
sinnung. Die Menschen haben einen anderen Schlag,
aus dem Tiroler Bauernkriege von 1525. Es zeigt, wie
Propheten, Nervöse bis zur Hysterie zwischen verthierten
Gewohnheiten auch. Beide einen Stich in das Con¬
damals, als der Frevel der Herren zu frech geworden, die
Idioten, alle Extreme der Welt beisammen, ein Ende der
ve, dem Neuen und Ungewohnten feindselig und mi߬
Bauern und die Bürger sich einem braven Manne anver¬
Menschheit an das ander gebunden, dazu noch leise di
gesinnt. Und doch kämpfen begreiflicherweise zwei
trauten, aber uneinig wurden, ihn und sich verriethen und
dunklen Zeichen satanistischer Spuren — welche Contraste
sse gegeneinander: eben dieser schwerblütige baju¬
elend erlagen. Man mag Bedenken haben, ob diese stille,
welche Fülle, welche Farben! Oder warum greift Niemand
de Grundcharakter gegen den leichten Geist der Jahr¬
in das politische Leben? Wir fühlen Alle, vor einer Ent¬ rührende Gestalt einer tragischen Idylle denn eigentlich
neige, dessen Träger sich in einer Stadt von sechzig
„dramatisch“ ist, aber er ist ja auch gar nicht der Held. Der
scheidung zu sein. Wird Niemand sagen, was wir gelitten,
Einwohnern doch finden müssen.
Held des Dramas ist nicht der Gaißmayr, der Held ist das
wie wir gerungen haben, Niemand die Angst der Ver¬
Dies ist das Programm der jungen Leute, die sich
Volk selbst, das ganze Tiroler Volk. Ja, dies macht die
zagenden, das Vertrauen der Hoffenden, Niemand dieser
paar Jahren jetzt in unseren Provinzen mit Unge¬
Gewalt des hinreißenden Stückes aus, daß es uns zusehen
ungeheuren Kampf um die Form unseres ganzen Daseins
gegen. Wie sollen wir uns nun zu ihren Forderungen
gleichsam mit klopfendem Herzen dabei sein läßt, wie ein
schildern, ob das Vaterland zum Alten umgewendet oder
ten, wir in der großen Stadt? Ich denke, wir werden
Volk entsteht und wie ein Volk vergeht. Wie durch die Noth
neu aufgerichtet werden soll? Unbetretenes überall, mar
zustimmen dürfen. Einmal, weil wir ja in der Tha¬
der Einzelne aus seinen Interessen gerissen und zum
kann nicht über die Gasse, ohne einem Roman zu begegnen,
der österreichischen Literatur doch so lange nicht reder
Ganzen getrieben wird, wie er außer sich und ins Allge¬
an jeder Ede packt uns ein unerlöster Stoff an — und wir
, als immer nur Wiener Gestalten gezeigt, Wiener
meine geräth, wie durch die Gefahr die Masse zum Volke,
Sind wir taub? Sind wir blind? Soll es von uns einma
gestellt, Wiener Stimmungen gegeben werden. Aber
der Schrei des Einzelnen zur Stimme der Nation, aus den
heißen, daß wir in unserer großen Stunde klein geweser
veil es uns selbst, denke ich, gut thun wird, Rivalen
Vielen plötzlich eine einzige ungeheure Person, eben die ge¬
sind? Sind wir so träge? Aber vielleicht ist es die Provinz
In Fersen zu spüren; dann blicken wir vielleicht doch
die uns den Stoß geben wird; vielleicht rüttelt und rafft waltige, fast heilige Figur des allgemeinen Geistes wird,
von unserer Manier auf, die schon fast zur leeren
aber dann auch, wie dem Einzelnen vor dem großen Patho¬
sie uns doch endlich noch auf
sie wird. Und endlich, weil es ja nicht mehr geht, daß
angst wird, wie er sich retten, wieder heraus, fort aus dem
Wenn wir uns jetzt vom Ganzen zu den Einzelnen
s ewig nur im alten Kreise derselben Stoffe, der¬
Volke, fort aus der Leidenschaft, fort aus der Gesinnung
Töne drehen. Muß man sich denn nicht wundern, wenden, so sind die Tiroler zuerst zu nennen, vor Aller
und zu sich selbst, in sein elendes Los zurück will und wie
Franz Kranewitter mit zwei Dramen, die wir nächsten
die Autoren des „jungen Wien“ Alles liegen lassen
die Würde des Volkes sich so schändlich im Tumult des
im Deutschen Volkstheater sehen werden. Das eine, „Um
ch der größten Wirkungen sicher wäre? Gibt es den
Haufens wieder verliert, niemals hat uns dies ein Dichter
Haus und Hof“, im Stoffe an den „Fuhrmann Henschel
sterreich wirklich nichts mehr als ewig das füße Mäde
heftiger, schrecklicher und — ich zögere nicht, zu sagen:
schnitzler, höchstens einmal in ein anderes Costüm ge¬ erinnernd (es ist übrigens älter und schon 1895 in Inns¬
erhabener empfinden lassen. Und in welchen, wie Felsblocke
bruck aufgeführt worden), aber mächtiger und freier, stellt
und jene reizend verruchte Welt des Theaters, von der
abstürzenden Tönen! Hier hören wir die vollsten Orgeln,
dar, wie ein Weib einen armen, von Begierden schwankender
t loskommen kann, und die paar sonderbaren Laute
die tiefsten Glocken unserer alten deutschen Sprache brausen,
Mann verdirbt. Eine „Tragödie der Ehr= und Herrsch¬
äußersten, ja sublimen, aber schon fast kaum mehr
als ob das zuckende, donnernde, schnaubende Wort Luther's
sucht" hat man mit Recht gesagt, weil es seinen besonderer
hen Verfeinerung, die Hofmannsthal hat? Ist das
auferstanden wäre
Fall sogleich ins Allgemeine hebt und das schlechte Weib so
ganzes Oesterreich? Dann heißt es aber, es sei Alles
Auch von seinem Freunde Rud. Chr. Jenny werden
grandios anwachsen läßt, daß es zuletzt gar keine einzelne
abgegriffen und verbraucht und kein unbetretener Weg
zu finden! Warum macht sich Niemand an den gali- Person mehr, sondern wie der böse Instinct selbst ist, das wir heuer ein Stück, das „Weihnachtsmärlein") im Volks¬
in uns waltende Verderben. Dabei läßt es das Schicksal
Roman? Diese ritterlich verlumpten Typen elegante
*) Bern bei S. Fischer
*) Leipzig, bei August Schulze,
Fr. die höchste Cultur im tiefsten Elend, Pariser unter mit einer fast feierlichen Ruhe über die Menschen schreiten,