VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 157

13. Miscellaneous
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jener faszinerende sang der Stimme, die den demas wirklicher Macht strebte. Deshalb steckte in diesem

Dr. Lueger hat ein künstlerischer Instinkt vor dieser gemeinen
antisemiten begann. Da sagte er in einer Rede: „Die Juden
feuilleton.
Rednerkomit bewahrt. Die stärkste rednerische Kraft entwickelt
haben mich so lange für einen geheimen Antisemiten gehalten,
er im Anfang der Neunzigerjahre, so lange er noch um die
sie haben so lange mißtraut und geforscht und vermutet — na
Lueger.
Macht rang und doch schon selber eine Macht war. Da hatte er
bis ich halt wirklich ein Antisemit geworden bin." An dem
auch ein sehr starkes Pathos zur Verfügung, das ihm, ans Zie
persönlichen Wesen Luegers ein Bild
Scherze war sicherlich viel Wahres. Luegers Antisemitismus
gekommen, gleich verloren ging. Wie Adler einmal von ihm
mußte erst hervorgekitzelt werden.
allem sagen, daß er ein schöner Mensch
sagte: „In dem Moment, wo Lueger etwas sagt, glaubt er es
blanke Erscheinung, gerade aufgerichtet,
Allerdings war er eigentlich überhaupt nicht sehr für Ge¬
wirklich! Vorher nicht, nachher nicht!" Er hatte die für einen
stes und mit federnd leichten Schritten
sinnungen. Er liebte ein ungeordnetes Durcheinander von
guten Redner unentbehrliche Fähigkeit, sich an seinen eigenen
sicht, von ehedem braunem, zuletzt wei߬
Meinungen und Anschauungen, aus welchem Wust dann im
Worten zu berauschen. Aber er hatte auch die für einen guter
mrahmt, ist aus der Entfernung schön
geeigneten Moment der passende Grundsatz hervorzuheben war.
Parteiführer unentbehrliche Fähigkeit, aus seinem eigenen Rausch
der Nähe störte der ausdruckslose, bei¬
Das Gefäß zur Aufbewahrung dieser ganz kontroversen Gedanken
schnell zu erwachen und nüchtern zu werden. Dr. Lueger hat an
leicht schielenden Augen, auch hatte er
war für Karl Lueger die Wiener „Gemütlichkeit“. In diesem
seine jeweiligen Ideale minutenlang geglaubt, aber er hat sich
erkehr mit Tausenden von gleichgiltigen
geräumigen Wurstkessel fand alles Platz: Demokratie und Hof¬
selbst immer wieder zu wecken verstanden, vor allem dadurch
doch stets zuvorkommend war, ein
dienst, Hausherren= und Arbeiterfreundlichkeit, Judenfreundschaft
daß er seine Begeisterung schleunigst in seinem Cynismus ab¬
in angewöhnt. Diese erfrorene Grim¬
und Antisemitismus, Deutschnationalismus und Klerikalismus
tötete.
keit wirkte gerade auf empfindliche Menschen
und noch ein Schock sonst unvereinbarer Gegensätze. Ursprünglich
fernung aber, wenn er auf der Tribüne
Am wenigsten fest saßen seine antisemitischen Gesinnungen
wirklich ein liebenswürdiger und gemütlicher Mensch, bekam er
it männlichen, festen Handbewegungen
in ihm. Mit dem politischen Verstand, mit dem Vorsatz ist
allmählich die hohle Routine der Gemütlichkeit, ja er trachtete
te Lueger freilich immer schön. In der
Lueger Antisemit gewesen, mit dem Herzen nie. Er wäre wirklich
geradezu, ernste Gegensätze auf das unpolitische Terrain der Ge¬
der erkünstelte Ausdruck aus seinem
riesig gern ein Antisemit gewesen, aber er hat die Juden zu
mütlichkeit hinüberzuleiten und so zu versöhnen. Deshalb hat
auf der Tribüne die schönsten Augenblicke.
lieb gehabt! Die Küsse, die er mit Juden — von Ignaz
er dem Bankett, der politischen Tafelfreudigkeit, große Bedeutung
hn zum Redner prädestiniert. Es hat im
Mandl bis Wilhelm Singer — gewechselt, waren durchaus nicht
beigelegt. Beim Wein legt man den Charakter als unbequem
etenhause nur wenige so wohlklingende
nur Komödie. Man muß Lueger im Parlament gesehen haben
ab, bei einem guten „Paperl (ein Lieblingswort Luegers) ist
sen Pianissimo zum pathetischen Forte
wenn er nach einer notgedrungen judenfeindlichen Rede aus
keiner prinzipiell“. Diese gemütliche Fressalienpolitik hat
Stimmen gegeben. Ein Stück Schau¬
dem Sitzungssaal in die Couloirs flüchtete und sich's sogleich
Lueger mit Ueberzeugung betrieben. Nach dem dritten
n Redner unentbehrlich zu sein scheint, hat
inmitten „seiner Juden" (wie oft sagte er da mit einem halb¬
Gange trug man sich Bruderschaft an, küßte sich und
Wiener Schauspielertum, das vom
wahren Scherz: „Auf meine Juden laß ich nichts kommen!"
war ein Parteifreund geworden. Die Methode hat sich
führenden und von dort schnell wieder
bequem machte. Angenehm „schmusen" konnte dieser durch und
auf dem flachen Lande und bei gewerblichen Kongressen
Witze findet. Lueger redete ganz gut
durch verjudete Antisemit am besten mit jüdischen Redakteuren
am besten bewährt. Wenn da Lueger auf den Bürgermeister
leise wienerischer Grundfarbe, um so
Es steckte natürlich auch in dieser Zuneigung ein bisser
von Wetzleinsdorf zutrat und ihm sagte: „Herr Kollegal..."
dann, wenn er aus dieser leidlich
wienerische Falschheit, aber doch noch mehr Echtheit. Wenn ihm
so hatte er einen festen Anhänger gekapert. Manchmal kam
lich in tiefere Töne fiel. Da ver
im Privatleben ein Jude ernst kommen und ihm seine Juden¬
allerdings schon am nächsten Morgen der Katzenjammer des
Anleihe bei Guschelbauer und Wiesberg
feindschaft vorhalten wollte, so war Lueger förmlich gekränkt,
Neugeworbenen. So ist es dem Bürgermeister von Korneuburg
haupt Coupletrefrains so ziemlich die
Politik und Menschlichkeit hat er immer als zwei streng getrennte
ergangen, der am Abend im Rathauskeller mit Lueger gebusselt
die er anbrachte. Eine gewisse Grazi¬
Gebiete angesehen. Zu seiner Erholung (zum Beispiel in Karls¬
hatte und am anderen Tag die politische Bruderschaft öffentlich
nie verlassen. So ist es charakteristisch
bad) liebte er direkt den Umgang mit Juden und Jüdinnen.
widerrufen hat. Zur Gemütlichkeit als politischem System ge¬
sack, daß er, der doch Hunderte von
Sogar der galizische Jude war ihm eigentlich gar nicht un¬
hörten auch die goldenen Hochzeiten, die Lueger jahrelang
gehalten hat, auf der Tribüne niemals
sympathisch, man weiß, daß Lueger sogar für sehr östlich gelegene
gewissenhaft mitmachte, die Kindstaufen (ausnahmsweise wohl
in T, auf den selbst seinere Redner Bethäuser Geld gespendet hat. Es ist übrigens auch noch
auch in befreundeten, eben erst gewässerten Familien) und, bevor
immer ganz verzichtet haben. Den
erinnerlich, wie er sich seinerzeit entschuldigte, als er öffentlich zu es Krankheit hinderte, die Ballbesuche im Fasching, vom Hofball