13.
nous
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„Gegen unser Publikum
In der neuen Nummer der Halbmonatsschrift
„Neue Robus" erhebt Hanns Heinz Ewers fol¬
gende bittere Anklage gegen das lesende Publikum
„Das Publikum, liest bei uns sehr viel, fast so
viel wie in England, mehr als in Frankreich. Aber
was liest es? Fast nur die Art von Büchern, die
wir sehr optimistisch „Unterhaltungslektüre" bezeich¬
nen. Am besten stehen sich bei uns diejenigen Schrift¬
steller (und ihre Verleger), die Unterhaltungssektüre
schreiben und doch mit einem Bein ein wenig in der
Literatur stehen. Sie sind die großen Namen beim
Publikum, sie schlagen die Rekords der Gelesenheit.
Bei den Dahn, Ebers, Baumbach, Julius Wolff bis
zu den Schlicht, Ompteda, und ihren nicht ganz so
vom Glück begünstigten Kollegen bleibt das Niveau
immer das gleiche bessere Unterhaltungslektüre mit
einem kleinen Stich ins Literarische. Es ist schwer
festzustellen, wie viele von diesen mit Absicht ihr
Kliche für das Publikum formen, doch scheint mir
gewiß, daß weitaus die meisten sehr viel Besseres
leisten könnten. Aber sie wollen Ware schaffen, die
gekauft wird — und haben recht von ihrem Stand¬
punkt aus. So gehen Talente zugrunde.
Warum? Weil sie nicht verhungern wollen.
Die breiten Massen sind überall gleich ver¬
ständnislos für Kunst, die „gebildete Mittelschicht
in Deutschland der französischen unterlegen, der engli¬
schen überlegen. Die Oberschicht aber, die allein
sich für Kunst in all ihrer Form interessiert, ist in
Frankreich ziemlich stark, in England gering, in
Deutschland noch geringer. Freilich hat auch Frank¬
reich einen Villiers de L'Isle Adam darben, einen
Henri Becque hungern lassen, aber es hat sehr bald
sein Unrecht eingesehen: beide Dichter haben wenige
Jahre nach ihrem Tode schon ihr Denkmal gefunden.
Und daß ein Dichter, wie Jean Moréas, von seinen
Versen leben kann, wäre in Deutschland einfach un¬
möglich. Die Franzosen haben längst den positiven
Wert der Kunst für die Entwickelung des Volkes er¬
kannt, sie haben eine Menge Einrichtungen, sie zu
unterstützen. Für die Literatur haben sie außer
der großen Akademie die Akademie Goncourt, die
zwölf Dichtern eine lebenslängliche Rente von
100.000 Frks. jährlich sichert. Sie haben den großen
Rompreis und eine Reihe anderer kleinerer Preise.
In Schweden, in Finnland, in Norwegen werfen die
Regierungen alljährlich große Summen für Ehren¬
solde aus, daneben hat Schweden den internationalen
Nobelpreis für Literatur zu vergeben, der alljährlich
allein 150.000 Mark beträgt. Die Honorare sind in
Frankreich ungefähr viermal so hoch wie in Deutsch¬
land; dazu haben die französischen Schriftsteller die
wundervolle Einrichtung der „Droits d'Auteurs,
die ihnen jährlich ein Plus von etwa drei Millionen
einträgt: aus Tantiemen für Theater= und Variété¬
vorstellungen, Konzerten (für die Texte,) Kinemato¬
graphentheater usw. In Deutschland existiert keine
solche Organisation, die Folge ist, daß die Gesamt¬
heit der deutschen Schriftsteller alljährlich um min¬
destens die gleiche Summe bestohlen wird. Die
Honorare in England und den Vereinigten Staaten
sind etwa siebenmal so hoch wie in Deutschland, in
Rußland wenigstens fünfmal so hoch.
Wie sieht es bei uns aus? Ein paar Beispiele.
Von einer großen Zeitung erhielt ich einmal für eine
Novelle, an der ich über zwei Monate gearbeitet
hatte, hundert Mark Honorar d h. einen Taglohn
von einer Mark siebenunddreißig Pfennigen.) Und
dabei muß ich bemerken, daß ich noch Vorzugshono¬
rare erhalte; die meisten Schriftsteller erhalten noch
weniger. Was ist die Folge? Der Dichter ist ge¬
zwungen, irgend etwas anderes zu tun, um genug
Geld zum Leben zu verdienen. Natürlich sind einige
da, die es nicht nötig haben, die von Hause aus ver¬
mögend sind, das sind die Glücklichen. Die anderen
sind zu Arbeiten gezwungen, die in weitaus den
meisten Fällen ihre künstlerische Produktion schwer
schädigen, denn anständig leben kann bei uns kein
Dichter vom Ertrag seiner Feder. Man sehe doch
die Auflagenziffern unserer berühmtesten und aner¬
kanntesten Dichter an: Demel, Lilieneron, Hoff¬
mannsthal, Schnitzler usw. Zwei, sehr selten drei
Auflagen, das macht etwa 2000 Mark für ein Buch,
in dem oft mehr als ein Jahr Arbeit steht. Paul
Scheerbart, Arno Holz, Schlaf, George kommen kaum
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„Gegen unser Publikum
In der neuen Nummer der Halbmonatsschrift
„Neue Robus" erhebt Hanns Heinz Ewers fol¬
gende bittere Anklage gegen das lesende Publikum
„Das Publikum, liest bei uns sehr viel, fast so
viel wie in England, mehr als in Frankreich. Aber
was liest es? Fast nur die Art von Büchern, die
wir sehr optimistisch „Unterhaltungslektüre" bezeich¬
nen. Am besten stehen sich bei uns diejenigen Schrift¬
steller (und ihre Verleger), die Unterhaltungssektüre
schreiben und doch mit einem Bein ein wenig in der
Literatur stehen. Sie sind die großen Namen beim
Publikum, sie schlagen die Rekords der Gelesenheit.
Bei den Dahn, Ebers, Baumbach, Julius Wolff bis
zu den Schlicht, Ompteda, und ihren nicht ganz so
vom Glück begünstigten Kollegen bleibt das Niveau
immer das gleiche bessere Unterhaltungslektüre mit
einem kleinen Stich ins Literarische. Es ist schwer
festzustellen, wie viele von diesen mit Absicht ihr
Kliche für das Publikum formen, doch scheint mir
gewiß, daß weitaus die meisten sehr viel Besseres
leisten könnten. Aber sie wollen Ware schaffen, die
gekauft wird — und haben recht von ihrem Stand¬
punkt aus. So gehen Talente zugrunde.
Warum? Weil sie nicht verhungern wollen.
Die breiten Massen sind überall gleich ver¬
ständnislos für Kunst, die „gebildete Mittelschicht
in Deutschland der französischen unterlegen, der engli¬
schen überlegen. Die Oberschicht aber, die allein
sich für Kunst in all ihrer Form interessiert, ist in
Frankreich ziemlich stark, in England gering, in
Deutschland noch geringer. Freilich hat auch Frank¬
reich einen Villiers de L'Isle Adam darben, einen
Henri Becque hungern lassen, aber es hat sehr bald
sein Unrecht eingesehen: beide Dichter haben wenige
Jahre nach ihrem Tode schon ihr Denkmal gefunden.
Und daß ein Dichter, wie Jean Moréas, von seinen
Versen leben kann, wäre in Deutschland einfach un¬
möglich. Die Franzosen haben längst den positiven
Wert der Kunst für die Entwickelung des Volkes er¬
kannt, sie haben eine Menge Einrichtungen, sie zu
unterstützen. Für die Literatur haben sie außer
der großen Akademie die Akademie Goncourt, die
zwölf Dichtern eine lebenslängliche Rente von
100.000 Frks. jährlich sichert. Sie haben den großen
Rompreis und eine Reihe anderer kleinerer Preise.
In Schweden, in Finnland, in Norwegen werfen die
Regierungen alljährlich große Summen für Ehren¬
solde aus, daneben hat Schweden den internationalen
Nobelpreis für Literatur zu vergeben, der alljährlich
allein 150.000 Mark beträgt. Die Honorare sind in
Frankreich ungefähr viermal so hoch wie in Deutsch¬
land; dazu haben die französischen Schriftsteller die
wundervolle Einrichtung der „Droits d'Auteurs,
die ihnen jährlich ein Plus von etwa drei Millionen
einträgt: aus Tantiemen für Theater= und Variété¬
vorstellungen, Konzerten (für die Texte,) Kinemato¬
graphentheater usw. In Deutschland existiert keine
solche Organisation, die Folge ist, daß die Gesamt¬
heit der deutschen Schriftsteller alljährlich um min¬
destens die gleiche Summe bestohlen wird. Die
Honorare in England und den Vereinigten Staaten
sind etwa siebenmal so hoch wie in Deutschland, in
Rußland wenigstens fünfmal so hoch.
Wie sieht es bei uns aus? Ein paar Beispiele.
Von einer großen Zeitung erhielt ich einmal für eine
Novelle, an der ich über zwei Monate gearbeitet
hatte, hundert Mark Honorar d h. einen Taglohn
von einer Mark siebenunddreißig Pfennigen.) Und
dabei muß ich bemerken, daß ich noch Vorzugshono¬
rare erhalte; die meisten Schriftsteller erhalten noch
weniger. Was ist die Folge? Der Dichter ist ge¬
zwungen, irgend etwas anderes zu tun, um genug
Geld zum Leben zu verdienen. Natürlich sind einige
da, die es nicht nötig haben, die von Hause aus ver¬
mögend sind, das sind die Glücklichen. Die anderen
sind zu Arbeiten gezwungen, die in weitaus den
meisten Fällen ihre künstlerische Produktion schwer
schädigen, denn anständig leben kann bei uns kein
Dichter vom Ertrag seiner Feder. Man sehe doch
die Auflagenziffern unserer berühmtesten und aner¬
kanntesten Dichter an: Demel, Lilieneron, Hoff¬
mannsthal, Schnitzler usw. Zwei, sehr selten drei
Auflagen, das macht etwa 2000 Mark für ein Buch,
in dem oft mehr als ein Jahr Arbeit steht. Paul
Scheerbart, Arno Holz, Schlaf, George kommen kaum