VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 163

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graphentheater usw. In Deutschland existiert keine
solche Organisation, die Folge ist, daß die Gesamt¬
heit der deutschen Schriftsteller alljährlich um min¬
destens die gleiche Summe bestohlen wird. Die
Honorare in England und den Vereinigten Staaten
sind etwa siebenmal so hoch wie in Deutschland, in
Rußland wenigstens fünfmal so hoch.
Wie sieht es bei uns aus? Ein paar Beispiele.
Von einer großen Zeitung erhielt ich einmal für eine
Novelle, an der ich über zwei Monate gearbeitet
hatte, hundert Mark Honorar so h. einen Taglohn
von einer Mark siebenunddreißig Pfennigen.) Und
dabei muß ich bemerken, daß ich noch Vorzugshono¬
rare erhalte; die meisten Schriftsteller erhalten noch
weniger. Was ist die Folge? Der Dichter ist ge¬
zwungen, irgend etwas anderes zu tun, um genug
Geld zum Leben zu verdienen. Natürlich sind einige
da, die es nicht nötig haben, die von Hause aus ver¬
mögend sind, das sind die Glücklichen. Die anderen
sind zu Arbeiten gezwungen, die in weitaus den
meisten Fällen ihre künstlerische Produktion schwer
schädigen, denn anständig leben kann bei uns kein
Dichter vom Ertrag seiner Feder. Man sehe doch
die Auflagenzziffern unserer berühmtesten und aner¬
kanntesten Dichter an: Demel, Lilienkron, Hoff¬
mannsthal, Schnitzler usw. Zwei, sehr selten drei
Auslagen, das macht etwa 2000 Mark für ein Buch,
in dem oft mehr als ein Jahr Arbeit steht. Paul
Scheerbart, Arno Holz, Schlaf, George kommen kaum
über eine halbe Auslage hinaus, Frank Wedekind,
überall gespielt, erhebt sich höchstens zu fünf.
Die große Hoffnung ist der Theater=Erfolg. Nur
vergißt man dabei, daß den großen Theater-Erfolg
auch das Publikum macht, und daß es „Kunst" eben¬
sowenig auf der Bühne duldet, wie in der Zeitung.
Selbst Gerhart Hauptmann hat mit seinen vielen
Stücken und scheinbar — großen Theater=Erfol¬
gen kaum soviel verdient, daß er wirklich dauernd
gut leben könnte, Schnitzler, Bahr, Hoffmansthal
können nicht die Mieten für ihre Wohnungen,
Eulenberg, „im Bau“ längst anerkannt, nicht einmal
seine Streichhölzchen von seinem „Verdienst" beim
Theater bezahlen. So ist ein jeder auf einen „Neben¬
verdienst" angewiesen, der recht eigentlich „Hauptver¬
dienst" ist. Gustav Falke gibt Klavierstunden, Arno
Holz erfindet kleine mechanische Scherzartikel für den
Weihnachtsmarkt. Andere machen Reklameverschen
für Andreas Hofers Malzkaffee und ähnliche geist¬
reiche Erzeugnisse oder fabrizieren witzige Unter¬
schriften für alle möglichen albernen Witzblätter.
Einige treten im Kabarett auf, Frank Wedekind
verdient seinen Unterhalt als Schauspieler. Andere
lesen Korrekturen, geben Privatstunden, halten Vor¬
lesungen; eine ganze Menge übersetzt aus allen
fremden Sprachen. Einige — man kennt ihre
Namen — hungern; sie wären längst verhungert,
wenn nicht ihre Kameraden, die meist selbst herzlich
wenig haben, sie über Wasser halten würden. So
haben sie Brot — aber Butter ist wenig darauf.
Und dabei gehören sie zu unseren feinsten, eigen¬
artigsten Dichtern.
So gehen unsere Talente zugrunde, und es
ist das Publikum, das die Schuld trifft. Dutzend¬
schriftsteller sehen wir reich werden mit ihren Ver¬
legern und Theaterdirektoren; Schauspieler sehen
wir, die horrende Gagen beziehen: einen Dichter,
den seine Kunst reich macht, hat Deutschland noch
kaum gesehen.
Wir maßen uns nicht im entferntesten an,
Auflagen zu erzielen, wie Leutnant Bilse und
Margarete Böhme, aber wir möchten gerne, daß
es unter achtzig Millionen Deutschen zehntausend
geben möchte, die Interesse genug und Verständnis
haben, um ihre Dichter zu kaufen: das heißt einer
unter achttausend. Aber es finden sich noch nicht
1000 unter 80 Millionen, die einen Gedichtband
Dehmels, noch nicht 300, die einen Roman von
Scheerbart erstehen. Und in dieser Schar sind ein
Drittel selbst Schriftsteller, ein gutes zweites
Drittel sind die von allen Seiten geschmähten
jüdischen Kunstfreunde.
Ohne unsere jüdische Intelligenz, die nicht
nur das Hergebrachte, sondern auch das Werdende
und Neue verstehen will, würde heute den mit
Problemen ringenden Künstlern, der ernsten Lite¬
ratur und bildenden Kunst eine starke Nährquelle
fehlen, eine der wenigen, die wir überhaupt haben,
die einzige vielleicht, die sich greifbar nachweisen
läßt.