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Miscellaneous
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Der Werker
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jedesmal von ihr gestaltet. Sie wird gleichsam durch jede Rolle neu geboren, und das gibt
jedem ihrer Menschen die rundgeschlossene Einheit, das zwingend notwendige, den Zauber des
Unverbrauchten.
Denn sicherlich ist Paula Müller kein Intellekt, sondern ein Stück Natur, das immer
von neuem zum Kunstwerk umgeformt wird. Ich glaube nicht, daß ihr dieser Wandlungsprozeß
bewußt wird, daß sie, wie es Artur Schnitzler einmal ungefähr gesagt hat, lacht oder weint
und zugleich selber eine Beobachterin ihres Lachens und Weinens ist. Solches erwägen nahme
nicht ihre Kunst hinweg, aber das besondere, erfrischende Naturaroma dieser Kunst. So aber
schmettert die kleine Fankare ihres Übermuts von selber wie das eingefrorene Posthorn des
Lügenbarons, das plötzlich auftaut. Verstandesanalyse käme ihren Menschen niemals bei, denn
der Intellekt kann immer nur mit Gebilden der Überlegung rechten, sie aber schafft aus dem
Temperament, dem Blut, dem Instinkt, und Blut und Instinkt haben immer recht; denn sie
müssen sein, wie sie sind.
„Der Ruf des Lebens lockt. Sie taumelt ihm entgegen. Sie stürzt von Männerarm
in Männerarm. Und taumelt wieder vor das mütterliche Haus, das Haar gelöst, die Wange
bleich, das Auge irr und voll Verwunderung. Ihr ist so sonderbar wie Hjalmars kleiner Hedwig.
Sie hat genossen das irdische Glück. Das Weib ist in ihr aufgewacht, und ihr ist sonderbar,
ihr ist es nicht bewußt. Sie präsentiert das Gegenstück zur „Dirne ihrer Träume“. Ihr Leib
hat die große Frauenwandlung durchgemacht, die Seele nicht. Ihr Herz träumt über grünes
Wiesenrund, ihr Herz fühlt Sommerblüten und kindliches Libellenspiel. Da setzt sein Pochen
aus; der Körper taumelt in den Tod; die Seele nicht.
Man nehme von dem Port alle vierschrötig sinnliche Brutalität und man kann sagen:
sie lebt und liebt und stirbt rein animalisch. Oder so wie Blumen blühen, weil es dem Wurzel
satt gefällt, wie Blumen lieben, weils einer Biene grad beliebt, wie Blumen sterben, weil eines
Tages die Naturkraft aus dem Boden stockt. Mitten ins reflektivste Zeitalter, das überall und
immer das Bedenken an dem Anfang, die Selbstbeobachtung in die Mitte, das Raisonnement
ans Ende gestellt hat — mitten in diese analytischen Tage ist eine kindlich Naive, eine so
völlig Ganze hineingeboren, daß ihr Wesen: die Einfachheit an sich keine weitere Zergliederung
erlaubt. Und doch ist ihre Wandlungskänigkeit nicht wie bei anderen Naturgewachsenen in
enge Grenzen eingezwängt. Sie war Minnas Franziska und Reyeks Geliebte; aber auch Rechts¬
anwalt Helmars Nora, Freilich nicht die Nore meiner Sehnsucht, die nur dem Mann zu Lieb
das Kätzchen spielt, den Lerchentriller markiert und das Puppchen mit. Ihr waren Tand und
Tändelei nicht angeschminkt, sondern angeboren. Ihr Geist von Niemals über den Körper
triumphieren, Handlung durch Oeste, das Was durch das Wie zur Lüge machen.
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jedesmal von ihr gestaltet. Sie wird gleichsam durch jede Rolle neu geboren, und das gibt
jedem ihrer Menschen die rundgeschlossene Einheit, das zwingend notwendige, den Zauber des
Unverbrauchten.
Denn sicherlich ist Paula Müller kein Intellekt, sondern ein Stück Natur, das immer
von neuem zum Kunstwerk umgeformt wird. Ich glaube nicht, daß ihr dieser Wandlungsprozeß
bewußt wird, daß sie, wie es Artur Schnitzler einmal ungefähr gesagt hat, lacht oder weint
und zugleich selber eine Beobachterin ihres Lachens und Weinens ist. Solches erwägen nahme
nicht ihre Kunst hinweg, aber das besondere, erfrischende Naturaroma dieser Kunst. So aber
schmettert die kleine Fankare ihres Übermuts von selber wie das eingefrorene Posthorn des
Lügenbarons, das plötzlich auftaut. Verstandesanalyse käme ihren Menschen niemals bei, denn
der Intellekt kann immer nur mit Gebilden der Überlegung rechten, sie aber schafft aus dem
Temperament, dem Blut, dem Instinkt, und Blut und Instinkt haben immer recht; denn sie
müssen sein, wie sie sind.
„Der Ruf des Lebens lockt. Sie taumelt ihm entgegen. Sie stürzt von Männerarm
in Männerarm. Und taumelt wieder vor das mütterliche Haus, das Haar gelöst, die Wange
bleich, das Auge irr und voll Verwunderung. Ihr ist so sonderbar wie Hjalmars kleiner Hedwig.
Sie hat genossen das irdische Glück. Das Weib ist in ihr aufgewacht, und ihr ist sonderbar,
ihr ist es nicht bewußt. Sie präsentiert das Gegenstück zur „Dirne ihrer Träume“. Ihr Leib
hat die große Frauenwandlung durchgemacht, die Seele nicht. Ihr Herz träumt über grünes
Wiesenrund, ihr Herz fühlt Sommerblüten und kindliches Libellenspiel. Da setzt sein Pochen
aus; der Körper taumelt in den Tod; die Seele nicht.
Man nehme von dem Port alle vierschrötig sinnliche Brutalität und man kann sagen:
sie lebt und liebt und stirbt rein animalisch. Oder so wie Blumen blühen, weil es dem Wurzel
satt gefällt, wie Blumen lieben, weils einer Biene grad beliebt, wie Blumen sterben, weil eines
Tages die Naturkraft aus dem Boden stockt. Mitten ins reflektivste Zeitalter, das überall und
immer das Bedenken an dem Anfang, die Selbstbeobachtung in die Mitte, das Raisonnement
ans Ende gestellt hat — mitten in diese analytischen Tage ist eine kindlich Naive, eine so
völlig Ganze hineingeboren, daß ihr Wesen: die Einfachheit an sich keine weitere Zergliederung
erlaubt. Und doch ist ihre Wandlungskänigkeit nicht wie bei anderen Naturgewachsenen in
enge Grenzen eingezwängt. Sie war Minnas Franziska und Reyeks Geliebte; aber auch Rechts¬
anwalt Helmars Nora, Freilich nicht die Nore meiner Sehnsucht, die nur dem Mann zu Lieb
das Kätzchen spielt, den Lerchentriller markiert und das Puppchen mit. Ihr waren Tand und
Tändelei nicht angeschminkt, sondern angeboren. Ihr Geist von Niemals über den Körper
triumphieren, Handlung durch Oeste, das Was durch das Wie zur Lüge machen.
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