VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 177

dringliche Wirkung sicherte, in der er allerdings nun erstarrt
als Vorboten einer kommenden; so konnte ihre Stärke auch vor
Deshalb konnte er auch eine Reihe von Wiener Typen prägen,
allem darin liegen, Typen zu prägen, für Menschen, die in dieser
die mehr oder minder kulturwahr sind, sicherlich aber in den
Stadt herumlaufen, einen Ausdruck zu finden, der das Bild des
Alltags= und Durchschnittsmenschen für die Kulturgeschicht¬
letzten fünf Jahren sehr auf die Gestaltung des Wiener Frauen¬
festhält. In der natürlichen Folge geschah es dann, daß die
typus eingewirkt haben. — Sowie Schnitzler den Typus des
manchmal etwas verschobenen, (weil durch ein künstlerisches, und
süßen Mädels" und des „Anatol“, des psychologisierenden
Liebhabers schuf, so hat Altenberg für die Seelenzustände und
nicht immer rein wienerisches Temperament gesehenen) Typen
das Wesen der jungen Frau charakteristische Ausdrücke gefunden.
aus der Litteratur in die Wirklichkeit rückten, daß also jene Ein
Eine Wienerin schlechtweg ist diese bis in die allerletzte Faser
wirkung der Kunst auf die Natur sich einstellte, die man im
sensitive, unglücklich unverstandene, meist sterile Frau, in der die
Zeitalter des Suobismus in jedem Lande finden wird. So
Sehnsucht nach der Liebe mit einem Gefühl des Schreckens von
mehrten sich die jungen müden Leute, Beobachter ihrer Seele und
den Mann gepaart ist, nicht. Ebenso halbwahr ist das junge Mädchen
ihrer Liebschaften, mehrten sich die süßen Mädel", mehrten sich
Altenbergs, voller Sehnsucht, mit einer unendlichen Liebe zur
die unverstandenen Frauen.
Kunst beschenkt und einem Horror vor dem Leben erfüllt, am
Die ältesten Jung=Wiener stehen heute am Ende der dreißigen
Wege eine Königin des Lebens zu werden, oder das weise
Jahre, die jüngsten in den Zwanzigern. Vor etwa 15 Jahren
Kind, in dessen Seele er die Unendlichkeit sieht und notiert.
sind die ersten Werke dieser Männer erschienen, vor etwa vier
Die Kultur Altenbergs ist feminin. Er haßt den Mann; der
oder fünf Jahren sind die letzten Jung=Wiener ins litterarische
ist immer brutal. Nur er selbst (er führt sich in seinen
— so zu sagen! — getreten. Natürlich auch nachher
Leben
Skizzen stets persönlich ein) ist der Versteher der Weibesseele,
kamen junge Wiener Schriftsteller, wohl auch Dichter, sicherlich
der Anbeter der Königin Frau. Ueber die künstlerische
Talente, aber ihrem Gefühls= und Kunstkreise nach kann man sie
Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit ist hier nicht zu streiten. Siche¬
nicht mehr zu Jung=Wien rechnen. Sie lieben uns nicht mehr
wollen wohl selbst nicht mehr hergezählt werden. Wir leben war die Wirkung dieser Werke groß. Ja, das Wesen gewisser,
schon früher angedeuteter halb=wiener Schichten hat sich gewiß
rasch. Von Generationen kann man nicht mehr sprechen; viertel
unter dem Eindrucke dieser Darstellungen geändert. Solchem
achtel, bald wohl sechzehntel Generationen scheiden sich, und
Einflusse entspricht immer eine Qualital. Es giebt auch in
Jünglinge werden um ihrer Generation willen von noch Jungeren
gehaßt. Das Alter des Jung=Wieners hat seine große Be= der That wenige Schriftsteller, die für einzelne Züge der
modernen Frau so gute Ausdrücke gefunden haben. Daß
deutung. Eine schöne Zeit für schöpferische Thaten ist ihm in
aber die Triebkraft Altenbergs der Intellekt war, und seine
frühen Lebensjahren gegeben; doch muß er — unser kulturelles
philosophische Grundidee an seiner Natur gemessen unehrlich ist,
Klima, wenn man so sagen darf, bedingt das — in eben dieser
verhinderte die Entfaltung und Entwickelung solcher Kunst.
Zeit große Wandlungen und Stagnationen durchmachen, und es
Der Wiener Dichter Felix Dörmann trägt seit zehn Jahren,
scheint das besondere Schicksal der künstlerischen Menschen diese¬
seit seinem ersten Bande Gedichte, eine litterarische Etiquette mit
Landes zu sein, daß es ihnen erst spät gegeben ist, innerlich zur
sich; die möchte ich mit leiser, behutsamer Hand ablösen. Ich
Ruhe zu gelangen, und insbesondere, daß sie zumeist erst nach
will ihm dann keine neue anheften, auch diese erlitte dasselbe
vielen Jahren, nach vielen schönen Verheißungen zu wirklich reifen
Schicksal; wie jene alte würde sie von Wahrheit zur Lüge wandern.
Werken kommen, die die Versprechungen halten, die ihre erste
Denn verjährte Wahrheiten sind neugeborene Lügen. Im übrigen:
Jugend, ihre frühesten Werke ausgestreut haben. Um das 30.
Man kann den Satz auch wenden: Wenn Lügen greis werden
Lebensjahr herum ist für den Wiener Künstler zumeist eine Wende
sind es junge Wahrheiten.
Die Jahre sind da gekommen, wo er alles Jünglingshafte
Als das zwanzigste Jahr die jungen Glieder des Dichters
Sprung afte, Unbeständige und Spielerische abstreift. Allerdings
ins Leben drängte, gab er sein unerlebtes Erstlingswerk, die
oft und oft mag es geschehen, daß mit der ersten Jugend seine
„Neurotica". Man merkt die Kapriole, die der Gesundheit ins
künstlerische Potenz, die eben nur in seinem Jünglingstume lag
Gesicht geschlagen wird. Man merkt auch, daß diese Leiden der
ausgeschöpft ist. Allerlei Beispiele wären da mit Trauer zu
Nerven mehr geahnt und gesungen, als gelebt sind. Man versteht
nennen. Wie immer: an den Werken, die an der Schwelle
dann schließlich, daß dieses Buch, wie fast alle Werke junger
des 30. Jahres geboren werden, sollt Ihr die Wiener Dichter
Dichter, aus der Sehnsucht geboren ist; aus einer kranken, blassen
erkennen. In der folgenden Charakteristik einzelner Wiener
Sehnsucht heraus — das will ich gerne zugeben. Noch vertritt
Autoren wird man sofort das Fehlen des Bestrebens vollständig
Intuition den Platz des Erlebnisses. Sehnsucht nach Leben ist
zu sein erkennen. Nur von jenen spreche ich, in deren Werken
manchmal intensiveres Erlebnis als die That selbst. Er dichtete
ein neues kulturbildendes Element zu finden ist und deren
zuerst von den lüsternen Wonnen der tausendfältigen Schmerzen,
bisherige Entwickelung darauf schließen läßt, daß ihre kommende
dann lebte er sie. Es waren die Leiden des jungen Werther,
litterarische Thätigkeit für engere oder weitere Kreise etwas
ersehnt und gesungen im Jahre 1890, und kleine Mädchen, in
Positives bedeuten wird. Es ist also auch offenkundig, daß unter
deren stille Gesichter — nur dem einen sichtbar — unheilige Wünsche
dem Gesichtswinkel: Jungwiener Kultur eine Reihe von
und Begierden tausend verschwiegener Laster trugen — halfen
kräftigen Schriftstellern wie F. v. Saar, der jüngst verstorbene
dann die Sehnsucht zum Leben wandeln. Und mit einem langen
C. Karlweis, ja sogar die Dichterin Marie Eugenie delle Gracie
Barte, einem blassen Gesichte ging der Jüngling umher, erhob sich
trotzdem der philosophische Gehalt ihrer Dichtungen auf allerlei
Tag für Tag und erlebte. Und er fand Sensationen, schuf sie
Umwegen auf Nietzsche zurückgeht, unberücksichtigt bleiben müsse
nun zum Leben, wie vorher zu Versen. Es herrscht die Pose.
Sie sehen im Leben anderes und anders. So wirken sie an
Das klingt nun so häßlich. Ich wundere mich selbst, daß ich
andere und anders. Für die moderne Wiener Kultur bedeuten
leise lächelnd ohne das Gefühl, mit diesem Urteil zu vernichten“
sie also schließlich so wenig wie die feinsten bildenden Künstler
diese Meinung herschreibe. Ja, Pose — das ist dem Dichter doch
der achtziger Jahre. Es sind mehr oder weniger Epigonen, und
eigentlich nichts, als der Wille zu einer bestimmten, ihm idealen
deshalb ist ihnen trotz allen Willens zur Moderne eine tiefe Ehe¬
Schönheit. Sie ist der Schminkopf der Poetik (nicht der Poesie,
wirkung auf das neue Leben verschlossen. Litterarischästhetische
ich bitte). Eine Seite im eigenen Wesen ist dem Künstler die
Interessen mögen sie ja trotzdem erfüllen.
liebste; so möchte er diese allein erklingen lassen, übertönt so die
Hermann Bahr gilt als der Mann der tausend Wandlungen und
anderen, drängt diese Nuance in den Vordergrund, ist unduldsam,
Ueberwindungen. Er ist kein Wiener. In Oberösterreich, in Linz liegt
einseitig. Ein monotones, verschobenes Menschen= und Daseinsbild
ihm die Heimat und sein Wesen, tritt es rein und klar zu Tage, zielt
ist die Folge. Dem armen Autor zur Spitzmarke geworden sind
zum Lande. Er hat das heftige Bestreben gehabt, diesen Zug
die Perse, in denen er sagte, daß er die Hektischen, Schlanken
auszumerzen, oder doch zu übertönen, zu betäuben. Er wollte
liebt, Narcissen mit blutrotem Mund, ... ich liebe, was niemand
ein Europäer werden. Er sagte von sich, ihm sei nichts fremd
erlesen . . . Alles, was seltsam und krank.
zwischen Wolga und Loire, oder zwei ähnlichen Flüssen; man hat
Der Vers steht in den „Sensationen", dem zweiten Bande
diese alten Geschichten allzu oft erwärmt. In der That, er
des Dichters, der das Motto trägt „Pénétrance jusqu'à la
gehört zu den besten Kennern gallischer Art, hat oft Pariserisches
douleur“ und der nun acht Jahre alt ist. Aber während die
an sich. Von dort hat er sich Feinheit der Nerven mitgenommen
Verse wirkten, hatte das Leben nicht immer mütterlich den Dichter
dort hat er seine bewegliche Natur zu üben, ihr jede Freiben
in seine Arme genommen. Er hatte nun Neurotica und Sensationen
und Laune zu gestatten, gelernt. Dann kam er heint. Und
erlebt, und war müde geworden, nun wirklich müde. Und er
man kann ihn sich heute mit allen seinen Bizarrerien von dieser
hatte nun ein schmerzliches, wehes Lächeln um die Lippen, nicht
Stadt nicht wegdenken. Nun, da er in der zweiten Hälfte
weil ihm diese Pose gefiel; er lachte, weil ihm nicht zum Lachen
der dreißiger Jahre steht, kommt stärker und stärker sein
war. Aber wie das so geht: Als er von Schmerzen sang, da
Oesterreichertum zum Vorschein. Den „frozzelnden“ Ton, das
war es Frivolität. Nun er Schmerzen litt, sang er nicht von
heißt die leise spottende, etwas höhnische, aber doch nicht in die
ihnen; aus Scham — lachte er. Und sein drittes Buch, das
Tiefen gehende Art des Maisonneurs — hat er immer gehabt
„Gelächter“ dieß und einen Fünfundzwanzigjährigen zum Dichter
Aber die „Verruchtheit, die er früher gerne an sich hatte, ist
hat, ist das erste durchaus ehrliche. Aus den Leiden ist die Ver
geschwunden, hat einer ruhigen, besonnenen Art Platz gemacht
achtung geboren, die doch nur halb ist. Denn stärker als Verstand
Und mit Bewußtsein, wie ja Bahr überhaupt nicht ein naiver
und Wille sind in diesem Menschen die Triebe. Deshalb ist er
Künstler genannt werden kann, hat er dementsprechend seinen
wohl ein Dichter. So klingt ein nicht überwundener Schmerz,
Stil gewandelt, ist von einem schillernden unruhigen grotesken
der Wille zur Befreiung von der Erotil, die dieses Menschen
Ton zur Weise des alten Goethe gekommen. Und der Inhalt
einziges Lebenscentrum ist, durch die Verse. Deshalb sagt er
seines litterarischen Thuns hat sich ebenso umgeformt. Seine
Höhnisches. Wer durch den Wald geht und sich ängstigt, schreit.
ethische Ader tritt hervor. Natürlich nennt man das die dene
Der Sentimentale wird frivol. Conismus ist Selbstflucht. Die¬
Pose. Aber ich glaube, die Leute nennen oft und oft eben das
ist das Schicksal des Dichters dieser Verse. Sie sollten eine Er¬
die Pose eines Menschen, was sein Tiefstes und Bestes ist, eben
lösung sein. Aber von seiner eigenen Natur befreit keinen der
was nicht nach Außen liegt, was einem nicht gleich in die
Wille. Die Jahre, die geben, die Schmerzen, die man leidet,
Augen fällt, und Pose ist vielleicht wirklich nichts anderes, als
und jene, die man zufügt, reinigen. Und die Welt gewinnt ein
die Verstärkung jenes Wesenszuges, der einem in sich an