VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 178

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einem blassen Gesichte ging der Jüngling umber, erhob sich
Umwegen auf Nietsche zurückgeht, unberücksichtigt bleiben müssen.
Tag für Tag und erlebte. Und er fand Sensationen, schuf sie
Sie sehen im Leben anderes und anders. So wirken sie an
nun zum Leben, wie verher zu Versen. Es herrscht die Pose.
andere und anders. Für die moderne Wiener Kultur bedeuten
Das klingt nun so häßlich. Ich wundere mich selbst, daß ich
sie also schließlich so wenig wie die feinsten bildenden Künstler
leise lächelnd ohne das Gefühl, mit diesem Urteil zu vernichten“.
der achtziger Jahre. Es sind mehr oder weniger Epigenen, und
diese Meinung herschreibe. Ja, Pose — das ist dem Dichter doch
deshalb ist ihnen trotz allen Willens zur Moderne eine tiefe En¬
eigentlich nichts, als der Wille zu einer bestimmten, ihm idealen
wirkung auf das neue Leben verschlossen. Litterarisch=östhetische
Schönheit. Sie ist der Schminkopf der Poetik (nicht der Poesie,
Interessen mögen sie ja trotzdem erfüllen.
ich bitte). Eine Seite im eigenen Wesen ist dem Künstler die
Hermann Bahr gilt als der Mann der tausend Wandlungen und
liebste; so möchte er diese allein erklingen lassen, übertönt so die
Ueberwindungen. Er ist kein Wiener. In Oberösterreich, in Linz liegt
anderen, drängt diese Nüance in den Vordergrund, ist unduldsam,
ihm die Heimat und sein Wesen, tritt es rein und klar zu Tage, zielt
einseitig. Ein monotones, verschobenes Menschen= und Daseinsbild
zum Lande. Er hat das heftige Bestreben gehabt, diesen Zug
ist die Folge. Dem armen Autor zur Spitzmarke geworden sind
auszumerzen, oder doch zu übertönen, zu betäuben. Es wollte
die Verse, in denen er sagte, daß er die Hektischen, Schlanken
ein Europäer werden. Er sagte von sich, ihm sei nichts fremd
liebt, Narcissen mit blutrotem Mund, ... ich liebe, was niemand
zwischen Wolga und Loire, oder zwei ähnlichen Flüssen; man hat
erlesen... Alles, was seltsam und krank."
diese alten Geschichten allzu oft erwärmt. In der That, er
Der Vers steht in den „Sensationen", dem zweiten Bande
gehört zu den besten Kennern gallischer Art, hat oft Pariserisches
des Dichters, der das Motto trägt pénétrance jusqu'à la
an sich. Von dort hat er sich Feinheit der Nerven mitgenommen,
douleur“ und der nun acht Jahre alt ist. Aber während die
dort hat er seine bewegliche Natur zu üben, ihr jede Freiheit
Verse wirkten, hatte das Leben nicht immer mütterlich den Dichter
und Laune zu gestatten, gelernt. Dann kam er heim. Und
in seine Arme genommen. Er hatte nun Neurotica und Sensationen
man kann ihn sich heute mit allen seinen Bizarrerien von dieser
erlebt, und war müde geworden, nun wirklich müde. Und er
Stadt nicht wegdenken. Nun, da er in der zweiten Hälfte
hatte nun ein schmerzliches, wehes Lächeln um die Lippen, nicht
der dreißiger Jahre steht, kommt stärker und stärker sein
weil ihm diese Poe gefiel; er lachte, weil ihm nicht zum Lachen
Oesterreichertum zum Vorschein. Den „frozzelnden“ Ton, das
war. Aber sie das so geht: Als er von Schmerzen sang, da
heißt die leise spottende, etwas höhnische, aber doch nicht in die
war es Frühlität. Nun er Schmerzen litt, sang er nicht von
Tiefen gehende Art des Raisonneurs — hat er immer gehabt.
ihnen; aus Scham, — lachte er. Und sein drittes Buch, das
Aber die „Verruchtheit", die er früher gerne an sich hatte, ist
„Gelächter“ hieß und einen Fünfundzwanzigjährigen zum Dichter
geschwunden, hat einer ruhigen, besonnenen Art Platz gemacht
hat, ist das erste durchaus ehrliche. Aus den Leiden ist die Ver¬
Und mit Bewußtsein, wie ja Bahr überhaupt nicht ein naiver
achtung geboren, die doch nur halb ist. Denn stärker als Verstand
Künstler genannt werden kann, hat er dementsprechend seinen
und Wille sind in diesem Menschen die Triebe. Deshalb ist er
Stil gewandelt, ist von einem schillernden unruhigen grotesken
wohl ein Dichter. So klingt ein nicht überwundener Schmerz
Ton zur Weise des alten Goethe gekommen. Und der Inhalt
der Wille zur Befreiung von der Erotik, die dieses Menschen
seines litterarischen Thuns hat sich ebenso umgeformt. Sein
einziges Lebenscentrum ist, durch die Verse. Deshalb sagt er
ethische Ader tritt hervor. Natürlich nennt man das die neu¬
Höhnisches. Wer durch den Wald geht und sich ängstigt, schreit.
Pose. Aber ich glaube, die Leute nennen oft und oft eben
Der Sentimentale wird frivol. Cynismus ist Selbstflucht. Dies
die Pose eines Menschen, was sein Tiefstes und Bestes ist, eben
ist das Schicksal des Dichters dieser Verse. Sie sollten eine Er¬
was nicht nach Außen liegt, was einem nicht gleich in die
lösung sein. Aber von seiner eigenen Natur befreit keinen der
Augen fällt, und Pose ist vielleicht wirklich nichts anderes, als
Wille. Die Jahre, die gehen, die Schmerzen, die man leidet,
die Verstärkung jenes Wesenszuges, der einem in sich an
und jene, die man zufügt, reinigen. Und die Welt gewinnt ein
teuersten ist. Wie immer aus den letzten Werken Bahrs, dem
anderes Gesicht. Die Naivität des Dichters, die glaubt, er könne
„Franz!" so gut wie dem „Apostel", der letzthin im Burg
seine Natur durch den Verstand bezwingen, erweist sich. Naivität
theater aufgeführt wurde, leuchtet eine ethische Idee. Der
nennen wir ja das Wesen jener Menschen, deren Verhältnis zum
gute Mann wird gepriesen, der Glaube an die treffliche Ver¬
Leben — wie sich also in ihrer Kunst ausdrückt — durch ihre
de Menschengeschlechtes betont aber eben wir nur binas re¬
Hauptmotiv der Dichtung: die Sinnlichkeit, die Erotik. Dies
zeigen auch seine Theaterstücke, die „Ledigen Leute“ so gut wie die
„Zimmerherren“, dieses frechste moderne Milienstück. In beiden
dreht sich der dramatische Witz um verirrte Liebe. Beides sind
„unmoralische Stücke und wirken durch ihre Unmoral moralisch.
Es sind groteske, schrille Phantasien über das Thema der ver¬
irrten Liebe. Ihm lag daran, das Groteske, herzbrechend und
verzweifelnd Komische darzustellen und zu verhöhnen, das in
solcher unzeitgemäßen und durch die Persönlichkeiten nicht berechtigten
Erotik liegt. Nun hat sich Dörmann von der Wirklichkeitsschilde¬
rung abgewandt. Und dennoch ist es in seinem neuen Werke,
dem Abenteuerstück „Der Herr von Abadena", wiederum das
Verhältnis des Mannes zum Weibe, das er anfaßt und an der
Natur eines Nietzschemenschen, eines freien Abenteurers und kräftigen
Ueberwinders darstellt. Der Sinn dieses Stückes ist der Abstand
des Weibes= von Männerschicksal, der Mann muß weitergehen
für ihn ist die Liebe ein Schicksal neben vielen, für die Frun ist
die Liebe die Erkenntnis des Lebens. Das wird man ungefähr
aus diesem Drama lesen dürfen, das sa in wenigen Wochen im
Königlichen Schauspielhaus gegeben werden wird und über dessen
Inhalt deshalb hier nichts mehr gesagt sein soll. Ich möchte es
nun vermeiden, kurz und deshalb flüchtig eine Reihe junger
Schriftsteller zu charakterisieren, die ihre größere oder geringere
Begabung in einigen Novellen oder kritisch-ästhetischen Büchern
erwiesen haben. Zu nennen wären etwa Anton Lindner), Paul
Wertheimer"), Paul Auernheimer"), Max Messer, Otto Stößl 3),
Siegfried Trebitsch), vielleicht auch ich selbst
Um die kulturbildende Bedeutung dieser jüngsten Jung=Wiener
festzustellen, muß man noch warten; man darf wohl auch sich selbst
nicht zu nahe rücken. Aber ich will nicht verschweigen, daß hinter
diesen Jung Wienern es bereits ein Jüngst Wien giebt, eine neue
Generation, Lyriker, Romanciers und Kritiker — wir leben ja so
rasch. Aber auch davon in Liebe und Haß zu sprechen, wär¬
verfrüht.
„Die Barrison," bei Schuster u. Löffler. Berlin.
Verse, bei G. H. Meyer in Leipzig.
Skizzen, im „Wiener Verlag.
*) Essays, ein Roman: Der Traum vom Weibe. Bei C. Reißner
in Dresden
„Leile“, Vita.
„Genesung", bei S. Fischer.
Die Praeraphaeliten, Modernes Kunstgewerbe, bei J. H. E. Heitz
Straßburg. Briefe an eine junge Frau, im Insel Verlag. Leipzig.
Giovanni Segantini, Wiener Verlag.