13. Miscellaneous
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Heimat Oestereich. Wien Nr.
Alfred Werner
Max Mall / um fünfzigsten Seburtstag des Dichters
Es ist gewiß verlockend, einen geliebten Künstler einzuordnen in den begreif¬
baren Kosmos, zu versuchen, ihn zum Ausdruck, zum Träger einer nicht minder
bewerteten Idee zu machen — in der lauteren Absicht, seinem wunderbaren Wesen
möglichst nahe zu kommen, sein eigenstrebiges Werk in einem sicheren Schubfach
behutet zu wissen. Aber wie sehr man sich auch bemüht
die Persönlichkeit
Max Mells paßt nicht in den etwas engen Begriff des „Heimat dichters“,
sie sprengt ihn vielmehr — gerade deshalb, weil viele seiner Gedichte, Novellen,
Spiele einfach nicht wegzudenken sind von der grünen Steiermark. Die neue Er¬
kenntnis: daß Stammeszugehörigkeit innerhalb des Volksganzen ein Faktor ist, der
das Schaffen des Dichters auf das Stärkste bestimmt, soll damit nicht geschmälert
werden — wer könnte die tragische Geschichte von der Barbara Naderer so über¬
zeugend geschildert haben, wenn nicht einer, dessen Liebe haust bei diesem erdver¬
bundenen Bauernvolk zwischen Mürz und Mur? Oder läßt sich eine andere Szene
erdichten für jenes Spiel von den falschen Aposteln als das einsame steirische
Alpengehöft?
Aber ein kräftiger Dichter ist nicht wie Krummholz, das von der Muttererde
nicht aufzustehen wagt, er ist wie ein unbekümmerter Baum, der die Äste ins Ewige
spreitet, ins Allgemeine. Mell ist universeller als etwa Peter Rosegger (der doch
immerhin sogar in Frankreich seinen Apostel gefunden hat). Es ist bezeichnend für
ihn, daß er mit „Lateinischen Erzählungen" begonnen hat; ein Menschenalter später
kehrt er zur geliebten Antike zurück: mit seiner dramatischen Dichtung „Die Sieben
gegen Theben“. Dazwischen aber liegt die Beschäftigung mit der Renaissance: die
poetische Übertragung ausgewählter Briefe des Aeneas Silvio Piccolomini und
der Stanzen des Polizian
ein wohltuendes Schweben vom Gedankenreich zur
Erde und vom Erdreich wieder zum Geiste zurück, von der Historie zur Realität
und umgekehrt — dieser Wechsel läßt sich auch an Mells dichterischem Ausdruck
erkennen, sowenig er die modischen Irrungen und Wirrungen des Stiles mitge¬
macht hat.
Wer nun unbedingt einen Generalnenner unter sein Werk setzen will, der
dürfte ihn eher einen katholischen Dichter nennen — dieses erläuternde Wort
nicht in seiner streng dogmatischen, sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung ge¬
ment: quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est; denn katho¬
lisch heißt übersetzt: allgemein —, für alle akzeptabel ist Mells Religiosität, diese
Keinzelle seiner besten Schöpfungen.
Denn gerade mit seinen religiösen Spielen ist Mell bei der breiten Masse
für die er, ein theokratischer Demokrat, seine Verse schreibt — bekannt geworden.
Denken wir uns in die Situation der ersten Nachkriegszeit hinein; mußten nicht ge¬
wissen Schichten, die den Tingel=Tangel der Inflationszeit verschmähten und die
expressionistischen Sucherdramen nicht begriffen, die Stücke Mells eine Erlösung
bereiten? Das Volk „hungert“ nach dem Theater, es will Kunst nicht lesen, son¬
dern sehen, aktiv, nicht leidend beteiligt sein. Da wurde nun im schönen Hofe des
Landhauses in Graz das „Schutzengelspiel aufgeführt, das symbolhaft handelt von
der frommen Bürgerstochter, die über die ledige Kindesmutter den Stab bricht, vom
Hochmut, der vor den Fall kommt — bis denn doch alles wieder gut und friedlich
wird, dieweil:
„Wie einem Menschenlos gesellt
fürsichtig wandelt ein guter Geist
und prüft und lenkt und nach Hause weist:
dies ist ein Gleichnis und ein Bild.
Such jeder in sich, was ihm gilt,
und mög keiner sein, der nicht erkenn
neben sich den Geist, den hütenden
und so getröstet sei seiner Wege.
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Heimat Oestereich. Wien Nr.
Alfred Werner
Max Mall / um fünfzigsten Seburtstag des Dichters
Es ist gewiß verlockend, einen geliebten Künstler einzuordnen in den begreif¬
baren Kosmos, zu versuchen, ihn zum Ausdruck, zum Träger einer nicht minder
bewerteten Idee zu machen — in der lauteren Absicht, seinem wunderbaren Wesen
möglichst nahe zu kommen, sein eigenstrebiges Werk in einem sicheren Schubfach
behutet zu wissen. Aber wie sehr man sich auch bemüht
die Persönlichkeit
Max Mells paßt nicht in den etwas engen Begriff des „Heimat dichters“,
sie sprengt ihn vielmehr — gerade deshalb, weil viele seiner Gedichte, Novellen,
Spiele einfach nicht wegzudenken sind von der grünen Steiermark. Die neue Er¬
kenntnis: daß Stammeszugehörigkeit innerhalb des Volksganzen ein Faktor ist, der
das Schaffen des Dichters auf das Stärkste bestimmt, soll damit nicht geschmälert
werden — wer könnte die tragische Geschichte von der Barbara Naderer so über¬
zeugend geschildert haben, wenn nicht einer, dessen Liebe haust bei diesem erdver¬
bundenen Bauernvolk zwischen Mürz und Mur? Oder läßt sich eine andere Szene
erdichten für jenes Spiel von den falschen Aposteln als das einsame steirische
Alpengehöft?
Aber ein kräftiger Dichter ist nicht wie Krummholz, das von der Muttererde
nicht aufzustehen wagt, er ist wie ein unbekümmerter Baum, der die Äste ins Ewige
spreitet, ins Allgemeine. Mell ist universeller als etwa Peter Rosegger (der doch
immerhin sogar in Frankreich seinen Apostel gefunden hat). Es ist bezeichnend für
ihn, daß er mit „Lateinischen Erzählungen" begonnen hat; ein Menschenalter später
kehrt er zur geliebten Antike zurück: mit seiner dramatischen Dichtung „Die Sieben
gegen Theben“. Dazwischen aber liegt die Beschäftigung mit der Renaissance: die
poetische Übertragung ausgewählter Briefe des Aeneas Silvio Piccolomini und
der Stanzen des Polizian
ein wohltuendes Schweben vom Gedankenreich zur
Erde und vom Erdreich wieder zum Geiste zurück, von der Historie zur Realität
und umgekehrt — dieser Wechsel läßt sich auch an Mells dichterischem Ausdruck
erkennen, sowenig er die modischen Irrungen und Wirrungen des Stiles mitge¬
macht hat.
Wer nun unbedingt einen Generalnenner unter sein Werk setzen will, der
dürfte ihn eher einen katholischen Dichter nennen — dieses erläuternde Wort
nicht in seiner streng dogmatischen, sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung ge¬
ment: quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est; denn katho¬
lisch heißt übersetzt: allgemein —, für alle akzeptabel ist Mells Religiosität, diese
Keinzelle seiner besten Schöpfungen.
Denn gerade mit seinen religiösen Spielen ist Mell bei der breiten Masse
für die er, ein theokratischer Demokrat, seine Verse schreibt — bekannt geworden.
Denken wir uns in die Situation der ersten Nachkriegszeit hinein; mußten nicht ge¬
wissen Schichten, die den Tingel=Tangel der Inflationszeit verschmähten und die
expressionistischen Sucherdramen nicht begriffen, die Stücke Mells eine Erlösung
bereiten? Das Volk „hungert“ nach dem Theater, es will Kunst nicht lesen, son¬
dern sehen, aktiv, nicht leidend beteiligt sein. Da wurde nun im schönen Hofe des
Landhauses in Graz das „Schutzengelspiel aufgeführt, das symbolhaft handelt von
der frommen Bürgerstochter, die über die ledige Kindesmutter den Stab bricht, vom
Hochmut, der vor den Fall kommt — bis denn doch alles wieder gut und friedlich
wird, dieweil:
„Wie einem Menschenlos gesellt
fürsichtig wandelt ein guter Geist
und prüft und lenkt und nach Hause weist:
dies ist ein Gleichnis und ein Bild.
Such jeder in sich, was ihm gilt,
und mög keiner sein, der nicht erkenn
neben sich den Geist, den hütenden
und so getröstet sei seiner Wege.