VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 183

13. Miscellaneous
box 44/10
ihrem Wechsel der Jahreszeiten. Es gibt wohl keine lyrische Anthologie, die sich
seinen „Milden Herbst von Anno 45“ entgehen läßt. Ja, ein so starker Schelter wie
Karl Kraus weiß dem Dichter für seine drei Strophen von der Landschaft schönen
Dank. In den gesammelten Gedichten ist manches hinzugekommen zu den Gebilden
des ersten Bändchens „Das bekränzte Jahr, vieles als zu leicht befunden und aus¬
geschieden worden. Denn Mell ist ein strenger Selbstkritiker, der Füllwörter ebenso
haßt wie Füllverse — deshalb ist auch seinem Drittelhundert Gedichte keines, das
man missen wollte.
So bleibt noch des Herausgebers zu gedenken. Nachdrücklich hinge¬
wiesen sei vor allem auf die Auswahl der Briefe Piccolominis, des späteren
Papstes Pius II. (darunter sich ein ergötzlicher über das Wien von 1438 befindet):
schließlich auf die „Österreichischen Zeiten und Charaktere", klug ausgewählte Ab¬
schnitte aus Autobiographien, anfangend mit dem „Weißkunig“ Kaiser Maximi¬
lians I. und endend mit dem „Lebenslauf eines deutsch=tschechischen Handarbeiters“,
des Sozialdemokraten Wenzel Holek.
So rundet sich das Werk, setzt sich die österreichische Linie Altenberg-Bahr
— Schnitzler, Hofmannsthal-Wildgans mit Mell fort, freilich unter neuen Um¬
ständen und auf einer anderen Ebene. Denn der Dichter ist zwar der Tradition er¬
geben, aber nicht von ihr abhängig, mit der Landschaft verbunden, aber die Knoten
hat er selbst geknüpft. Darum ist es uns liebe Pflicht, dem Dichter für sein Werk
zu danken und ihn um dauernde Gunst zu bitten, denn, wie er so schön dem
Freunde Wildgans zum Gedächtnis geredet hat:
„Ob wir uns dessen bewußt sind oder ob uns nur das Gefühl zu ihnen hinzieht; erst
die Menschen der hohen Art schaffen uns da Land zur Heimat; wie die Nähe rein
atmenden Pflanzenwuchses erfüllen sie uns die Atmosphäre mit dem Würzigen, in dem uns
wohl ist. Und von Österreich gilt es vor allem: erst die Künstler haben dieses Land er¬
schaffen und daß dies immer wieder von neuem geschieht, ist sein Leben.
Otto Brandt
Begegnung
Langsam kommt er durchs Heidekraut geschritten. Die Gräfer zischen und
schlürfen wie unter dem Schwung der Sense, ein leichter Wind atmet über
Halmspitzen und Blumen; Bienensummen und Grillenzirpen und ein langer
Schatten, der still und beharrlich vorwärtsläuft. Hannes ist ein stattlicher Mann,
in seinen besten Jahren, der sich sehen lassen kann. Breitschultrig, mit hohem
Brustkorb und starken braunen Armen in seinem weißleuchtenden Hemd, geht er
nachdenklich lächelnd dahin, kraftverhalten und heiter, wie einer, der den großen
Frieden gefunden hat.
Am Heidrand wirft er sein Bündel hin, setzt sich auf einen Baum¬
stumpf und trocknet mit seinem buntkarrierten Taschentuch die feuchte Stirn. Dann
zieht er die große silberne Uhr aus der kurzen Leinenhose und betrachtet sie.
Ein wenig nach sieben. Da wird er wohl nicht mehr lange warten müssen. Ein
paar Glockenschläge gleiten vom Dorf herüber; daß die Kirchuhren immer
zurückgehen, denkt er und wundert sich gleichzeitig über seinen leisen Arger.
Warum sitzt er hier und schaut sich um? Worauf wartet er denn? Ach, auf
Maria, mit der er sich von Amsterdam aus verabredet hat. Kleinigkeit, nicht
wahr? Jetzt muß er selbst über sich lachen, schüttelte den Kopf und be¬