VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 195

13. Miscellaneous
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Nachdruck verboten.
„Gefesselte Kunst.“
Von Karl Beibtreu.
II. *)
Die moderne Kunst als „capitalistisches Object" wird
in Deutschland nur noch von Verlegern, Theaterdirectoren
und Kunsthändlern fabricirt; nicht der Urheber, sondern
der Besteller entscheidet. „Abonnementsbetrag und In¬
seratengebüren, das ist die Seele von der Literatur.
Noch nie knechtete man das freie Wort ärger als im ver¬
preußten Deutschland. „Welches von den Werken un¬
serer Classiker von Luther bis Hebbel, würde heute einen
Verleger finden? Was wäre aus Goethe geworden, wenn
er davon abhängig gewesen wäre, daß moderne Re¬
dacteure seine Gedichte aufnehmen? Was aus Schiller,
wenn er — seine Dramen hätte einreichen müssen? Was
ist das bischen Hohenasperg gegen den Hungertod und
die geistige Ausmistung, die heute dem Dichter droht?"
Ja, in den finsteren, gottlob vom Aufkläricht über¬
wundenen Zeiten, wo noch Fürsten, Bischöfe, ein vor¬
nehmes Publicum die Kunst beschützten, da arbeitete man,
um den Besten seiner Zeit genug zu thun; heute schafft
man, will man irgendwie dem Erfolg fröhnen, für die
Schlechtesten. Der lächerliche Goethe=Bund, der laut
Bergs treffendem Ausdruck „seine innere Verlogenheit
von vorneherein“ an der Stirne trug, wollte höchstens
die Büttel und Zwingvögte tauschen. Denn die „liberalen
Machthaber in Literatur und Kunst wollen gleichfalls nur
dem Philisterpublicum dienen, um Geschäfte zu machen.
Für eine große Kunst fehlt es ohnehin an Raum. „Die
großen Tragödien würden das Theater sprengen, folg¬
lich zwängt es sie ein, d. h. verstümmelt sie. Die Re¬
dactionen bestellen ihre Beiträge nach Zeilen und Silben
oder schneidern sie nach Bedarf zurecht. Die wahre Kunst
*) Siehe Morgenblatt der „Deutschen Zeitung" Nr. 10594
ist aber unwirthschaftlich, Luxus, und der Künstler muß
überhaupt das
sich unabhängig ausleben können: wer bietet ihm diese
„Concurrenz",
ökonomische Grundlage, seit die Zeit der Mäcene, der
auf geistigen
fürstlichen Unterstützung, vorüber: Durch Gründung von
hin an Feigheit
Akademien und Stiftung von Preisen ruinirt man nur
Billigkeit heißt
die Kunstentwicklung, degradirt die freien Schöpfer zu
Zuguterletzt
da, um als
Beamten und Professoren. Fast nie trifft ein staatlich
patentirter Preis den Würdigen, fast nie geht aus Aka¬
haupt nichts Ve
demien ein origineller Selbstschöpfer hervor. Wenn man
Ganz treffend
sich täglich vor der Kunst blamirt, darf man sie nicht! „Das Publicun
so schlecht, wie
fördern wollen. Bildhauer, Maler und Theaterdilettanten
als Leibgarde der Hohenzollern, das ist die neueste Ent¬
drücken sie es
deckung. Ach ja, der böse Clericalismus mag schmunzelnd Zu hoch für un
Gipfel der Men¬
das Geständniß Bergs entgegennehmen: „Das Mittel¬
alter hatte noch ein besonders wohlthätiges Institut für
zu ihnen hinauf
die Ausscheidung aus socialer Gemeinschaft, das Kloster.
land nicht, eine
Hier war auch der Künstler der Noth und Sorge ent= Scheinheiligkeit
hoben, hier blühten Künste und Wissenschaften in einer
treibt im Insel
vorn hat er me
Zeit, als noch ganz Europa ein Barbarenland war." Die
schild. Das ist
Abhängigkeit der Literatur von Fürsten oder, wie be¬
Bordell. Die
sonders in England, einer gebildeten Aristokratie schadete
gegen die Weltu
ihr nichts; die wahre Unfreiheit herrscht erst in unserer
Aera der Bourgeoisie, wo sie wie ein Handelsproduct dem auf den Schütze
Marktgesetz von Angebot und Nachfrage unterliegt. abhängige Schri
diese öffentliche
Handelsartikel kann man aber nur quantitativ ein¬
Masse, ward he
schätzen — also nicht die Schönheit einer Zeile, sondern
Zusätze des hint
pro Zeile wird bezahlt, nicht das Werk, sondern das
den Capitalism
damit zu machende Geschäft. Was Wunder, daß die
mus, der auch
Krämerlogik daraus folgert: Keinen Kunstwerth hat, was
ja erst recht a
sich nicht auf dem Markt bezahlt macht! Das Kunst¬
product läuft durch die schmierigen Pforten der Zwischen aber die Kunst,
Gleichmacherei
händler
Agenten, die als Kuppler das Talent ver¬
Geistesfürst fühl
schachern — und wird so durch den Geschmack solches
als „Arbeit" un
Gesindels, das noch unter dem Durchschnittspöbel steht
Die Berufszünf
und nur auf schlechte Instincte speculirt, noch tiefer herab¬
gewürdigt. Da die inhaltlose Schmiererei sich immer besser Leute, die ihr
noch allzeit in
bezahlt macht, so liegt den Kunsteunuchen die Aufgabe ob,