VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 208

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13. Miscellaneous
Richard Beer-Hofmanns 70. Geburtstag. In Wien
wurde heute der 70. Geburtstag des österreichischen
Dichters Richard Beer-Hofmann gefeiert. Unter den her¬
vorragenden Poeten, die Österreich dem deutschen
Schrifttum in den letzten Jahrzehnten schenkte und un¬
ter denen Hofmannsthal und Schnitzler in der ersten
Reihe standen, wirken heute noch ruhmreich der jüngere
Stefan Zweig und der jetzt ins Patriarchenalter tretende
Beer-Hofmann. Der Siebzigjährige kann allerdings nicht
auf sogenannte Publikums erfolge hinweisen, denn er ge¬
hört zu jenen feinen Künstlern, die nur für die geistige
Oberschicht leben und arbeiten. Er hat nicht viel produ¬
ziert, aber seine Dramen, vor allem seine Trilogie David,
von der allerdings nur „Jaakobs Traum“ erschien,
sichern ihm einen Ehrenplatz in der deutschen Litera¬
tur. Bisher hat bloß sein Drama „Der Graf von Charo¬
lais“ auf der Bühne Erfolg gehabt, denn Beer-Hofmann,
der sich niemals nach lärmenden Beifallskundgebungen
sehnte, mußte von Max Reinhardt und Alexander Moissi
förmlich gezwungen werden, sein Drama der Öffentlich¬
keit bekannt zu geben. Beer-Hofmann ist auch als No¬
vellist und als Lyriker hervorgetreten und sein Schlaf¬
lied für Mirjam gehört zu den Perlen der deutschen
Poesie. Der Dichter ist auch ein genauer Kenner des
Bühnenwesens und er hat mit genialer Einfühlung
Goethes „Iphigenie" und Goethes „Faust" für das Burg¬
theater neu in Szene gesetzt. Obwohl er nicht gern vor
dem großen Publikum erscheint, hat er es dennoch niemals
unterlassen, für seine bedrängten Glaubensgenossen mit
Feuereifer einzutreten. Er lebt in Wien, hat nur wenige
Freunde und meidet den sogenannten gesellschaftlichen
Verkehr. Jetzt muß er wider Willen den Sturm von Gra¬
tulationen über sich ergehen lassen, doch es wird ihm
vielleicht eine kleine Genugtuung gewähren, daß ihm aus
aller Welt, und darunter auch aus Ungarn, die deut¬
lichsten Beweise dafür zukommen, wie hoch man sein
Talent und seinen Charakter, seine dichterische Persön¬
lichkeit und seine edlen menschlichen Qualitäten schätzt.
le
(Das Stelldichein der Wiener Schokolademädchen.)
Gestern gab es auf der Alten Donau eine „Venezianische Nacht.
Eine Prozession lichtergeschmückter Boote glitt unter Musik und
Gesang dahin. In den Wirtshäusern auf den Ufern herrschte ein
fröhlicher Tumult. Die Wiener Schokolademädchen mit ihren
braungebrannten Kavalieren tranken einander zu. Mit dem
süssigen Wein, der an den Hängen des Wienerwaldes reift, be¬
siegelt man alte Bande oder knüpft neue an. Auf dem Gänse¬
häufel, das in diesen Tagen das fünfundzwanzigjährige Jubiläum
seiner Entdeckung feiert, spürt man jene wienerische Stimmung,
deren Essenz dem Lebenswerk Arthur Schnitzlers wie ein feiner,
unverwelklicher Duft entströmt. Darum empfindet man es nicht
als Zufall, sondern als den Ausdruck innerer Zusammenhänge,
daß Hermann Bahr zu einer Zeit, als er sich ganz besonders
intensiv im Bannkreis und unter dem Einfluß seines unsterblichen
Freundes Arthur Schnitzler befand, das Gänsehäufel literarisch
entdeckte. Mit Recht feiert man den alten Florian Berndl, der auf
dem Bisamberg bei Korneuburg eine beschauliche Sonderlings¬
existenz führt, als den Entdecker des Gänsehäufels. Berndl hat
diese unbekannten Gestade in der unmittelbaren Nachbarschaft der
Großstadt für Wien erobert. Die vergnügten Paare, die in den
Ruderklubs und Weebendhäuschen an den Ufern der Alten
Donau das jubilierende Gänsehäufel hochleben lassen, haben allen
Anlaß, auf das spezielle Wohl Florian Berndls ein Gläschen zu
trinken. Aber sie sollen im festlichen Trubel Hermann Bahr nicht
vergessen, der in seinem Roman „O Mensch!“ das Gänsehäufel
der Literatur einverleibt hat. Schließlich sind ja doch immer die
Dichter die wahren und eigentlichen Entdecker. Was wäre
Konstantinopel ohne Pierre Loti, was Paris ohne Zola oder
Maupassant, was Berlin ohne Fontane, was wäre Wien ohne
Arthur Schnitzler. Und man darf mit Fug und Recht sagen: was
wäre das Gänsehäufel ohne Hermann Bahr. Erst durch den
Dichter wird das Zufällige zum bleibenden und notwendigen
Besitz. Aber die heutige Generation weiß nicht allzuviel von den
Dichtern und ihren Büchern. Sie spielt lieber Wasserball, vergnügt
sich auf der Rutschbahn, dem Ringelspiel und wie die anderen
Herrlichkeiten des Gänsehäufels alle heißen, und kann sich nur
schwer entschließen, in der Leihbibliothek den noch immer und
heute erst recht sehr lesenswerten Roman „O Mensch!“ zu lesen.
Im Jubiläumsprogramm des Gänsehäufels und seiner ersten
Gartenkolonie „Neubrasilien gebührt Hermann Bahr — der
übrigens mit Florian Bernol den malerisch wallenden Bart
gemeinsam hat — ein ganz besonderer Ehrenplatz.