VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 222

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Denkwürdigkeiten, daß Lenau, der schwer¬
mütige Ungar, unausgesetzt aus seiner langen
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n
Tonpfeife qualmend, in einer stillen Ecke
manches
des Silbernen Kaffeehauses so
seiner unsterblichen Gedichte mit der Blei¬
feder niedergeschrieben hat.
Im Jahre 1847 wurde an der Ecke der
Herren= und der Schauflergasse das nachmals
berühmt gewordene Café Griensteidl eröffnet,
das von Kundigen boshaft „Café Größen¬
wahn“ genannt wurde. Da sich das alte Burg¬
theater in unmittelbarer Nähe befand, fügte es
sich von selbst, daß sich dessen Schauspieler
regelmäßig im „Griensteidl“ einfanden, um
Ausschnitt aus:
dort zu fachsimpeln, zu plaudern und zu in¬
Tag von
trigieren. Ihnen schlossen sich die Literaten
und die Publizisten an und bildeten Stamm¬
tischrunden. In den Neunzigerjahren wurde
3. P.
das Griensteidl, mit Hermann Bahr, Artur
vom
Schnitzler und dem blutungen Vor¬
(Hugo von Hofmannsthal) an der Spitze,
der Sammelpunkt einer neuen Dichtergenera¬
tion. Ein Original war der wohlbeleibte
Heinrich, der literaturkundige Ober.
Die Gründerjahre brachten mit der Ein¬
führung des Gaslichtes, der elektrischen Be¬



leuchtung und der Hochquellen-Wasserleitung
einen neuen Aufschwung der Wiener Kaffee¬
häuser, die in der ganzen Welt, sogar in
Zweihundertfünfzig Jahre Wiener Kaffeehaus
Amerika, nachgeahmt wurden, deren Vorbild
aber nirgends erreicht wurde. Unter den un¬
gefähr 800 Kaffeehäusern, die es, die Volks¬
Das Jahr 1933 bringt im Gefolge der städten Österreichs die ersten Kaffeehäuser.
kaffeehäuser nicht eingerechnet, heute in Wien
Türkenbelagerungsfeier, auch das Jubiläum Berlin, Frankfurt a. M., Paris und Madril
gibt, sind die verschiedensten Typen vertreten.
folgten. Besonders in Paris begann das
einer sehr geschätzten und populären Wiener
Nebst literarischen Kaffeehäusern, die auch
Institution: das Wiener Kaffeehaus, feiert Kaffeehaus zur Zeit der Revolution eine gro߬
haben wir Schach,
das zweihundertfünfzigste Jahr seines Be¬ Rolle zu spielen. Die berühmten Cafés Foy,
heute nicht fehlen,
Billard= und Kartenspielkaffeehäuser, Turf¬
standes. Denn der urkundlich nachgewiesene Corazza, Chrétien und andere waren der Zu¬
sammenkunftsort der Jakobiner und Giron
und Sportlerheime, stille Lese= und flotte
erste Kaffeschank Wiens (mit Ausnahme der
disten. Im Café Foy hielt Camille Desmou¬
Witwenkaffeehäuser. Alle diese Lokale haben
türkischen Länder) ganz Europas wurde von
lins seine Brandreden gegen die Aristokraten
die köstliche Melange, das
dem kühnen polnischen Kundschafter Georg
Im Café Corazza war ein finster blickender gemeinsam
Franz Kolschitzky gegründet, der bekannt¬
Offizier Stammgast, ein Korse namens Napo- knusprige Gebäck, die Stöße Zeitungen aus
aller Welt, die aufmerksamen, menschenkundi¬
lich an der Befreiung Wiens einen wichtigen
leon Buonaparte.
gen Kellner, kurz jene Atmosphäre der Be¬
Anteil nahm. Zur Belohnung für seine klugen
Von Paris aus scheint die Sitte, eine gro߬
quemlichkeit und Behaglichkeit, die auf der
und unerschrockenen Dienste bekam er von
Zahl Zeitungen aufzulegen, nach Wien ge¬
ganzen Welt nicht ihresgleichen findet und
den Stadtvätern ein Haus in der Haidgasse
kommen zu sein. Im Café Kramer, Ecke der
dem Wiener Kaffeehaus zu seinem einzig¬
geschenkt, und die Heeresverwaltung überließ
Goldschmiedgasse und des Schlossergäßchens
artigen internationalen Ruf verholfen hat.
ihm unentgeltlich eine große Anzahl Säcke,
deren Inhalt aus merkwürdigen grünen das als Wahrzeichen vor dem Eingang eine
Max Frankenstein.
mannshohe bronzene Negerfigur hatte, wurde
Bohnen bestand. Es war ungebrannten
der Anfang gemacht. Der war bescheiden ge¬
Kaffee, ein damals außerhalb der Türkei ganz
nug, denn außer dem Wiener Diarium und
unbekanntes Genußmittel. Kolschitzky wußte
einigen Münchner und Berliner Zeitungen
sehr wohl von seinen Spähergängen im türki=
schen Zeltlager, wie man dieses köstlich dufgab es damals keine Tageszeitungen. Der
tende orientalische Getränk zubereitete. Nach=Nachrichtendienst war schwerfällig genug, denn
er beruhte auf der mit der Postkutsche beför¬
dem er zuerst vergeblich versucht hatte, mit
den Bohnen, die niemand kaufen wollte, Handerten Briefpost. Nichtsdestoweniger fanden
sich im Café Kramer alle Größen der damali¬
del zu treiben, eröffnete Kolschitzky im kleinen
gen literarischen Welt ein, um Neuigkeiten zu
Bischoffshof, einem Haus in der heutigen
erfahren.
Domgasse, dicht hinter dem Stephansdom
Sehr beliebt war das Café Stierböck am
eine bescheidene Kaffeeschenke.
Anfang der Jägerzeile (Praterstraße), in dem
Dort brachte er den ersten „Schwarzen“
zunächst noch ungefüßt, zum Ausschank, und Nestroy und andere Schauspieler des Carl¬
zwar in irdenen Töpfchen. Dieses erste Theaters, Komödiendichter und angesehene
Kaffeehaus Wiens hatte großen Zulauf, be=Bürger vom Grund Stammgäste waren
sonders als Kolschitzky auf Wunsch seiner Nestroy spielte dort jeden Nachmittag seine
Gäste den Trank zu süßen begann. Nun Tarockpartie, soll aber in diesem Spiel ein
großer „Patzer“ gewesen sein. Im Fähnrichs¬
stellte sich erst der richtige Erfolg ein. In
kurzer Zeit erwies sich das Lokal als zu hof in der Singerstraße befand sich vor mehr
klein und nun mietete Kolschitzky auf der als hundert Jahren ein verräuchertes
Brandstätte ein größeres. Auch dieses genügte „Kaffeeg wölb. Es war das Stammlokal
Franz Schuberts und seines Freundeskreises
nicht und der geschäftstüchtige Pole machte
Dort gab's nämlich — und das wird wohl für
eine Kaffeeschenke im Schlossergäßchen (nächst
den stets mit Geldnoten kämpfenden Ton¬
der Goldschmiedgasse) und eine zweite au
dem Stock=im=Eisen=Platz auf, beide schon dichter das entscheidende Moment gewesen sein
für fünf Kreuzer einen annehmbaren
ein wenig besser ausgestattet. Im städtischen
Grundbuch findet sich bei einem Haus auf Milchkaffee, allerdings aber nur zwei Zeitun¬
dem Stock=im=Eisen=Platz der Vermerk gen. Gäste, die auf Lektüre Gewicht legten,
mußten sich ihren Lesevorrat selbst mitbrin¬
„Allwo das erste Kaffeegewölb.
Die Nachkommen Kolschitzkys haben später gen. Alle diese Lokale besaßen nur geringen
das Kaffeehaus in die Leopoldstadt verlegt, Komfort, sie waren räumlich beengt und mit
gleich neben der damaligen Schlagbrücke, an Kerzen beleuchtet.
Im Café Kramer, das schon behaglicher ein¬
deren Stelle später die Ferdinandsbrücke er
richtet wurde. Die Genossenschaft der Wiener gerichtet war und sich deshalb großen Zu¬
spruches erfreute, verkehrten der Satiriker
Kaffeesieder bewahrt noch heute ein Bildnis
Alois Blumauer, Leopold Haschka, der
Kolschitzkys und verehrt ihn als Vater ihres
erste Dichter der Haydnschen Volkshymne, und
Gewerbes,
Von Wien aus unternahm das Kaffeehaus viele andere Literaturgrößen der Josefinischen
einen Siegeszug durch ganz Europa. Schon und franziszeischen Zeit.
Noch berühmter wurde das Silberne
um 1710 entstanden in den größeren Provinz¬