öffentlichen wir nachstehend
Fragment aus einem übel gangbaren Umweg am steinichten Seerand zurück. I
Fragment — Bruchstücke aus Gerhart Hauptmanns neuem doppeltem Lichtnebel im Wasser und über der Fläche schwebend:
Roman „Merlin“. Der Dichter hat sich da neuerdings in eine so wird von der Toten eine Stelle jenseits des Sees erreicht,
sehr verwickelte und vernebelte Gespenstergeschichte versponnen
wo sie mit einer schnellen Hellung im Boden verschwindet. Der
deren Ende nach all dem, was hier zu lesen ist, wohl noch un¬
Pater scheint nun über etwas ins Klare gelangt und zu etwas
absehbar bleibt, deren Schönheiten jedoch — wie meistens be¬
entschlossen.
Gerhart Hauptmanns Prosa — durch Feuerfunken, in die
romantische Dämmerung gestreut, besonders wirksam sind.
Szenerie: Ein Kramladen im schlesischen Gebirge. Föhnsturm
fegt durch den braunen Vorfrühling. Macht die Leute nervös,
fiebrig, so daß sie Gespenster sehen. Der Flickschuster Grumm,
seine Frau und seine Freunde sitzen in einer verqualmten Stube.
Es herrscht Maeterlinck=Stimmung. Frau Glumm wartet auf
einen Bergpater. Der Mönch kommt, nimmt Platz und sagt
„Es ist sicher das Beste, wenn ich Sie einweihe. Sie wissen, wir
sind in der zwölften Stunde. Ich habe aus einer ganz gewissen
Ursache, trotz des Sturmes, den Weg hieher gemacht. Frau
Glumm hat mir nämlich heute morgen, als ich einen Augenblick
vorsprach, von einem sehr sonderbaren Besuch erzählt, der
gestern Schlag Mitternacht hier stattgefunden hat. Die Sache ist
die: es ist Aussicht vorhanden, daß sich dieser Besuch heute um
dieselbe Zeit wiederholen wird. Bis dahin hätten wir noch eine
halbe Stunde. Um was ich Sie jetzt bitten möchte, meine Herren,
ist, etwa fünf Minuten vor zwölf das Licht zu löschen und, was
auch immer geschehe, sich nicht einzumischen, womöglich
mäuschenstill zu sein, ja, durch nichts Ihre Gegenwart zu
verraten.“
Frau Glumm erzählt nun den Hergang der Ereignisse in
der vergangenen Nacht, breit, ausführlich, wie nur Gerhart
Hauptmann so eine Geschichte
wiedergeben kann. Schließlich
erscheint das Gespenst... (Nun zitieren wir den Dichter.)
Das Schlagwerk der Uhr hatte zum zwölften Schlag aus¬
geholt. Er war gefallen und gleich darauf tiefe Stille ein¬
getreten. Selbst draußen verstummte das Toben der Elemente.
Der Geist glich unverkennbar etwa einem siebzehnjährigen
Weibe, das geboren hat, wenn sie nicht zugleich den Eindruck
einer mit gebrochenen Augen blindwandelnden Toten gemacht
hätte. Auf einem Wachsgesicht von holdester Magdlichkeit waren
die Linien übermenschlicher Qualen eingegraben. Aus einem
Winkel des wie bei einer tragischen Maske stumm geöffneten,
kindlichen Mundes sickerte Blut. Sie ging gebeugt. Augen¬
scheinlich mußte sie, durch die Krümmung des Körpers und durch
die linke Hand, um überhaupt gehen zu können, unsäglichen
Schmerz in den Eingeweiden verhalten. Grauenvoll waren die
Finger der Aermsten anzusehen. Es waren zum Teil nur blutige
Stummel, als habe sie sich, in zäher Wut und rasender Pein,
durch Schichten Gesteins zur Erdoberfläche durchgegraben. Der
Pater empfand ein Weh, das Urweh, wie man es ähnlich sonst
nur im Traum empfinden kann. Die Brüste der Toten waren
vertrocknet. Sie hielt, wie verzweifelt, die Hand auf eine der
beiden versiegten Milchquellen. Bei schärferem Zusehen war es
mitunter, als sei die ganze Gestalt nur trockner Staub. Nur
das köstliche, lange, blonde Haar fiel in glänzendem Schwalle
um sie nieder. Dagegen hingen die wenigen Kleidersetzen wie
mürber Zunder an ihr herum. Aber die Erscheinung schien
doppelt zu sein. Um den verwesten, sichtlich schmerzgeschüttelten
Leichnam zeigte sich, wie eine schöne, transparente Hülle, ein
anderer Leib, der die ganze ehemalige, unversehrte Weibes¬
schönheit und Holdheit der rätselhaften Dulderin zeigte; und
während Verwesungsduft, gemischt mit ätzenden oder weichlichen
Kinderstubendüsten, von dem zerstörten Schmerzensleib aus¬
zugehen schien, kam es von diesem wie unendlich feine Musik
und Blumenhauchen des Paradieses. Dann ging es mit weicher
Sohle, wie einige sagten, oder schwebte, wie andere meinten,
durch die Glastür hinaus.
„Auf", sagte der Pater, als man einen Lichtschein am
Ladenfenster vorüberschwinden sah. „Folgt mir! Auf! Aber
schweigsam. Und laßt mich vorangehen.“ Man stolpert ins Freie.
Es beginnt etwas wie eine Jagd durch den nächtlichen Sturm,
dem Lichtschein der seltsamen Kundin nach, der irrwischartig bald
näher, bald ferner tanzt, aber sichtbar bleibt. Ja, er belichtet
sogar den Waldboden, so daß die Verfolgung dadurch erleichtert
ist. Manchmal schwebt durch den Wald nur eine Lichtballung,
dann wieder zeigt sich Gestalt darin, nämlich der schlanke
Mädchenleib, der, nur für das Auge des Paters, mit einer reh¬
haften Anmut zwischen den schnellbeglänzten Stämmen bergan
gleitet. Zuweilen bleibt der arme, aus dem Fegefeuer entlassen.
Geist stehen und blickt sich um, als wünsche er, verfolgt zu sein,
und wolle dem Männerrudel Zeit lassen. Der Pater erkennt,
wie das süße Schmerzensangesicht des jungen Weibes unter dem
Haarschleier phosphoresziert, der gleichsam darüber herunter¬
rieselt. Ihm ist, als wolle aus seinem eigenen Innern ein Name
empor, und er müsse damit die Erscheinung anrufen. Nun schiebt