VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 232

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(Monat Mai) schuldig war. Im September wurde der Generalen,
kenschheit in allem Niedergang des Lebens. Diese junge Renate
da, in dichter langer Reihe, er Lebenden; und der Lebende denkt auch im Schmerz nur an sich
Fuchs bricht ein Verlöbniß mit einem Herzog, um einem jungen
und das Leben erobert all sein Empfinden ach! so übereilt
er flattert auf und findet müh¬
Mann ihrer Wahl in Freiheit zu folgen; der kirchlichen Sanktion
wieder zurück. — Es ist das eine ichsüchtige Kunst.
sich aus all dem Staub und
Die Stimmung ist alles. Ich brauche nicht zu sagen, welche des Bundes widersetzt sie sich; sie macht die trübsten Erfah¬
getrübte Luft. Aber wieder zieh
rungen in dieser ihrer freien Ehe, sie kommt in denkbar schlech¬
Lärm hinab, er flattert wieder Gefahr darin liegt, die Stimmung zum Selbstzweck zu machen:
man merkt die Absicht, und man wird verstimmt. Dieser Jung= teste Gesellschaft, sie tritt in einem Variété der Lebewelt auf, —
trifft ihn, er ist todt. Das All¬
seelisch bewahrt sie ihre Reinheit. „Ein Mann kann fallen,
lich ist nichts, eine Stimmung ist Wiener Literatur ist es auch allzu deutlich ausgeprägt, daß si
eine Frau kann niemals fallen.
Der Hinterbliebene", Wiener aus der Reaktion gegen den öden Buchstabendienst eines äußer
All die Gestalten des Romans machen einen seltsam un¬
Märchen: Der junge König von lichen Realismus entstanden ist; sie ist aus dem Kontrast geboren
Das Gefühl der Enge quält bei diesen Büchern. Doch ist es wahrscheinlichen Eindruck. Man hat ihnen gegenüber das
ein Lächeln ist ihm abzugewinnen
Gefühl, das man einer herumziehenden Ganklerbande gegenüber
wohl nicht in Abrede zu stellen, daß diese Kunstrichtung der
ein alter, abgebrauchter Feuille
Bedürfniß Vieler heut entgegenkommen mag. Nur so erscheint empfindet. Die ganze Art der Existenz und des Empfindens,
erzählt ihm eine Geschichte
ich wiederhole das Wort, ist unwahrscheinlich. All diese Menschen
es mir erklärlich, daß eine Fülle von Büchern entsteht, die all¬
igsohn, der lieben lernen sollte
Herr Papa. Und deshalb schickte gleichmäßig durchaus dasselbe Gepräge tragen; daß sich dies arbeiten auch nicht. Ihr Geschäft ist, immer da zu sein, wo
Jung=Wienerthum zu einer literarischen Richtung auswachsen die Handlung des Romans sie benöthigt, um unwahrscheinlichen
it seinem Hofmeister auf ein ein
and im Gartenhäuschen mußte auf konnte. Es erschienen innerhalb ganz kurzer Zeit außer den zu werden. Aber diese eine Renate Fuchs, die glaubt man.
Alle Stimmungen, die über sie kommen, werden einem kund
genannten im Wiener Verlage: Felix Dörmann „Warun
Gräfin als Gärtnerstochter ver¬
Man weiß, was sie empfindet, wenn der junge Mann ihrer
der schöne Fritz verstimmt war. Max Messer „Wiener
winden. Und Pflicht des Hof¬
ersten Wahl spricht, aber ebenso gut, wenn er schweigt. Aus
Bummelgeschichten“, Gustav Macay „Novellen
sohn in der Kunst zu lieben die
lauter Stimmungsmalerei ist diese Charakteristik auferbaut, doch
ganz werthlose Produkte diese letztgenannten, aber sie tragen
Und wie der königliche Herren
sieht man schließlich klar den Menschen vor sich. Die „Ge¬
ängstlich genau das oben charakterisirte Gepräge. Und in gewissen
h Liebe in der Brust des jungen
schichte der jungen Renate Fuchs" ist, als Ganzes genommen,
Hinsicht thut es die Masse
m, zögernd vor sich. Inzwischen
zweifellos ein schlechtes Buch — doch steckt die Kraft zu einem
Die kurze, wenige Seiten lange Erzählung ist es, die die
Gunst der Schönen zu erringen
ungewöhnlich guten vielleicht dahinter.
es alten Dichters aber ruft ein jungen Wiener Schriftsteller pflegen. Es entspricht das de
Was mich aber an diesem Wassermannschen Roman am
elancholischen Königs von Phan Richtung ihrer Kunst, entspricht wohl auch ihrem eigene
meisten frappirt: er hat die denkbar größte Aehnlichkeit mit einem
chen". Denn er selbst war jener Naturell. Ich muß nach München zu einem ihnen innerlich
(erheblich besseren) modernen englischen Roman, und das ist die
Nahestehenden hinübergreifen, will ich diese literarische Richtung
dieser reinen Jugendgeliebten
Evelyn Innes" von George Moose. Alles, was bei
in einer größeren Arbeit charakterisiren
geworden, hat er als kostbarsten
Wassermann noch plumpe Aeußerlichkeit und Brutalität ist, das
Jakob Wassermanns Roman „Die Geschichte der
Fragen. (Raoul Auernheime
Zeichen", Wiener Verlag 1900 ungen Renate Fuchs" (Berlin 1900 S. Fischer, Verlag) Alles ist bei Moore ganz innerlich gegeben. Doch besteht eine
ein überaus seltsames Buch. Zunächst ist es ganz jugendlich Aehnlichkeit in der psychologischen Fassung des Grundproblems,
Wiener Schriftsteller ein
eine Gemeinsamkeit in dieser Kunst aus Stimmungen zu
giebt sich greisenhaft. Sodann ist es ein wunderbares
sie in immer neuen
charakterisiren, ein Menschensein in eine Folge widersprechender
terquickliches Gemisch wirklich feiner Seelenmalerei und wüste
schildern, so ein Proble¬
Stimmungen mit einer tiefen, bleibenden Grundmelodie aufzu¬
Brutalität der Handlung
od. Auch hier ist Sch.
lösen. Und ich weiß nicht, ob diese Art nicht vielleicht doch
Das Problem dieses Romans ist das altbekannte der se
Horangegangen. Und zu ist es
eine Zukunft hat.
sie zu ergründen suchen: die conde virginité par l'amour. Victor Hugo hat es in „Mario
Von diesem Stimmungsrealismus, von dem ich sprach, ist
ebstes stirbt. So Felix Salten Delorme" behandelt, Alexandre Dumas hat es in der „Kamelien¬
dame" einem breiteren Publikum zugeführt. Jakob Wassermann es zu ausgesprochenem Lyrismus nur ein Schritt — freilich,
so Richard Beer=Hofman:
Und fast Alle geben sie die be aber giebt ihm, das ist unbestreitbar, tiefere Bedeutung; es ein sehr verhängnißvoller. Ein Stück Romantik hier, die ganze
handelt sich bei ihm nicht um ein Wiedererstehen seelische
Romantik dort. Stimmung ist Alles. Ich brauche nur den
den Tod innerlich mit zu ersehen
schen den Sterbenden und den beinheit durch die Liebe, sondern um Bewahrung der Herzens=Namen Hugo von Hofmannsthals zu nennen, um daran zu