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nous
767
... Hugo von Hofmannsthal! Ich verehre in ihm einen Menschen
von eminentestem, repräsentativem Kulturcharakter. An Wissen, an
Geschmack, an Sprache, an Gefühl für Schönheit kommt ihm kaum
einer gleich. Er schreibt Verse von einem Wohlklang und von einer
süßen Reife, daß sie wie ein schimmernder Rausch einem ins Blut
gehen und doch gleichzeitig unser geistiges Wesen aufs innigste beschäftigen.
Seine Prosaaufsätze sind solche Wunderwerke, daß ich sie mit Boulle¬
Uhren vergleichen möchte. So herrlich sind sie in ihrer Struktur und
so verschwenderisch in der wohlberechneten Fülle ihre Schmuckes. Und
damit Sie nicht meinen, daß ich des Dramatikers Leistungen unterschätze,
will ich bekennen, daß ich der „Elektra“ einen der überwältigendsten
Kunsteindrücke meines Lebens verdanke; und daß ich es als einen meiner
schmerzlichsten Verluste empfinde, bisher „Odipus und die Sphinx" nicht
gesehen zu haben.
Trotzdem werfe ich die Frage auf: schenkt dieser Dichter uns neue
Visionen unseres Lebens? Wühlt und arbeitet in ihm eine Kraft, die,
aus unterirdischen Quellen kommend, bisher verborgene Edelmetalle ans
Licht schwemmt? Ich wage nicht, Ja zu sagen. Dafür hat mir die
Gesamtheit der Hofmannsthalschen Dichtung zu viele Voraussetzungen.
So reich sie ist, so lauter sie funkelt, sie ist doch überall bedingt und
abgeleitet. Sie ist durch und durch Kulturprodukt. Insofern also
gewiß auch Repräsentant einer Kultur (hoch, höher, am höchsten),
doch eines leider nicht: kulturschöpferisch. Sie weist nicht in die
Zukunft, sondern sie baut sich zusammen aus Vergangenheiten. Sie
ist ein Museum aller schönen Worte, erlesenen Gefühle, durchgereiften
Weisheiten. Und schafft neue Museumsstücke hinzu, voll aparter Ein¬
fälle, feinstudierter Wendungen, sinnvoller Abstufungen, reizender Über¬
raschungen. Überall spüren wir das bereits Erreichte, nirgendwo das
noch zu Erreichende. Wir wissen uns in der besten und vornehmsten
aller Gesellschaften, aber die Fenster sind geschlossen, und der Wildbach,
der draußen tobt, dringt nicht an unser Ohr. Oder wenn er es dennoch
tut — so ist sein elementarisches Wüten durch eine kunstvolle Stufen¬
leiter von Übertragungen derart sinnreich in ein wohlabgestimmtes Tönen
verwandelt, daß es ohne innere Schrecken uns ästhetisch ergötzt
wie
ein Rossinisches Gewitter.
So wird man denn sagen müssen, daß der Hofmannsthalschen
Dichtung das Erlebnis fehlt. Oder vielmehr, sie kennt nur ein einziges
Erlebnis: ihre eigene Entstehung. Gewiß, dies soll das letzte und
höchste Erlebnis jeder Dichterseele sein. Aber die Dichterseele ist doch
nur der innerste Kern einer Menschenseele, und erst, was diese durch¬
macht an Bangnissen, Ungewißheiten, Seligkeiten und Schrecken und
alles, was ihr aufgeladen ward an leidvollen Entbehrungen und schick¬
salsschweren Verantwortungen, erst das formt für sie den Stoff innerer
Erlebnisse, der dann in den Berührungen und Reibungen mit der
äußeren Welt sich schöpferisch entzündet. Ich meine also dieses: eine
Dichterseele muß teilhaben am Leiden der Gesamtheit, und gerade an
ihren primitivsten und alltäglichsten Leiden, sie darf sich in der Hinsicht
nicht unterscheiden wollen, sie muß animalisch, elementarisch und ge¬
schwisterlich sein — das gibt ihr ihren höchsten Reichtum und schafft
ihr ihren lebendigsten Untergrund. Gräbt man bei Hofmannsthal in
die Tiefe, so spürt man von allem diesem äußerst wenig. Hingegen
nous
767
... Hugo von Hofmannsthal! Ich verehre in ihm einen Menschen
von eminentestem, repräsentativem Kulturcharakter. An Wissen, an
Geschmack, an Sprache, an Gefühl für Schönheit kommt ihm kaum
einer gleich. Er schreibt Verse von einem Wohlklang und von einer
süßen Reife, daß sie wie ein schimmernder Rausch einem ins Blut
gehen und doch gleichzeitig unser geistiges Wesen aufs innigste beschäftigen.
Seine Prosaaufsätze sind solche Wunderwerke, daß ich sie mit Boulle¬
Uhren vergleichen möchte. So herrlich sind sie in ihrer Struktur und
so verschwenderisch in der wohlberechneten Fülle ihre Schmuckes. Und
damit Sie nicht meinen, daß ich des Dramatikers Leistungen unterschätze,
will ich bekennen, daß ich der „Elektra“ einen der überwältigendsten
Kunsteindrücke meines Lebens verdanke; und daß ich es als einen meiner
schmerzlichsten Verluste empfinde, bisher „Odipus und die Sphinx" nicht
gesehen zu haben.
Trotzdem werfe ich die Frage auf: schenkt dieser Dichter uns neue
Visionen unseres Lebens? Wühlt und arbeitet in ihm eine Kraft, die,
aus unterirdischen Quellen kommend, bisher verborgene Edelmetalle ans
Licht schwemmt? Ich wage nicht, Ja zu sagen. Dafür hat mir die
Gesamtheit der Hofmannsthalschen Dichtung zu viele Voraussetzungen.
So reich sie ist, so lauter sie funkelt, sie ist doch überall bedingt und
abgeleitet. Sie ist durch und durch Kulturprodukt. Insofern also
gewiß auch Repräsentant einer Kultur (hoch, höher, am höchsten),
doch eines leider nicht: kulturschöpferisch. Sie weist nicht in die
Zukunft, sondern sie baut sich zusammen aus Vergangenheiten. Sie
ist ein Museum aller schönen Worte, erlesenen Gefühle, durchgereiften
Weisheiten. Und schafft neue Museumsstücke hinzu, voll aparter Ein¬
fälle, feinstudierter Wendungen, sinnvoller Abstufungen, reizender Über¬
raschungen. Überall spüren wir das bereits Erreichte, nirgendwo das
noch zu Erreichende. Wir wissen uns in der besten und vornehmsten
aller Gesellschaften, aber die Fenster sind geschlossen, und der Wildbach,
der draußen tobt, dringt nicht an unser Ohr. Oder wenn er es dennoch
tut — so ist sein elementarisches Wüten durch eine kunstvolle Stufen¬
leiter von Übertragungen derart sinnreich in ein wohlabgestimmtes Tönen
verwandelt, daß es ohne innere Schrecken uns ästhetisch ergötzt
wie
ein Rossinisches Gewitter.
So wird man denn sagen müssen, daß der Hofmannsthalschen
Dichtung das Erlebnis fehlt. Oder vielmehr, sie kennt nur ein einziges
Erlebnis: ihre eigene Entstehung. Gewiß, dies soll das letzte und
höchste Erlebnis jeder Dichterseele sein. Aber die Dichterseele ist doch
nur der innerste Kern einer Menschenseele, und erst, was diese durch¬
macht an Bangnissen, Ungewißheiten, Seligkeiten und Schrecken und
alles, was ihr aufgeladen ward an leidvollen Entbehrungen und schick¬
salsschweren Verantwortungen, erst das formt für sie den Stoff innerer
Erlebnisse, der dann in den Berührungen und Reibungen mit der
äußeren Welt sich schöpferisch entzündet. Ich meine also dieses: eine
Dichterseele muß teilhaben am Leiden der Gesamtheit, und gerade an
ihren primitivsten und alltäglichsten Leiden, sie darf sich in der Hinsicht
nicht unterscheiden wollen, sie muß animalisch, elementarisch und ge¬
schwisterlich sein — das gibt ihr ihren höchsten Reichtum und schafft
ihr ihren lebendigsten Untergrund. Gräbt man bei Hofmannsthal in
die Tiefe, so spürt man von allem diesem äußerst wenig. Hingegen