VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 235

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sehr viel stößt man auf chevalereske Selbstbespiegelung; auf ehrgeizige
Selbsterziehung und Selbstaufstachelung; und, aus dem Reiche der
Schmerzen, auf das dumpfverhohlene und bohrende Gefühl eines kalten
Alleinseins. Und was ist dieses Alleinsein anderes als die trübselige
Ahnung eines Ausgeschlossenseins von den warmen und zeugerischen
Umarmungen menschlichen Erlebens?!
Hierin erblicke ich die Tragik der Hofmannsthalschen Erscheinung
und das Bedrohliche für die ganze Art von ästhetischer Kultur, als
deren ragender Gipfel er sich uns darstellt. Unfruchtbarkeit ist das
Schicksal, das hier droht — Unfruchtbarkeit bei äußerlich glanzvoller
Entfaltung und formal verblüffender Vollendung. Und darum sehe
ich nicht ohne Bangen, daß Hofmannsthal Schule macht, daß er
magisch anzieht und fasziniert. Für viele hat er heute bereits die
Geltung eines Klassikers erlangt; ja, manche möchten am liebsten sagen:
er sei als Klassiker auf die Welt gekommen. Sieht man nicht den
Widersinn, der hierin liegt, und ahnt man nicht, wieviel Schweiß und
Blut, ja wieviel Schmutz am schmerzlich errungenen Klassikertum eines
Goethe klebt? Und nichts hiervon dürfte fehlen; auch der Schmutz
nicht! Ja, der vielleicht am wenigsten
Ich sehe in Hofmannsthal eine wundervolle Spätfrucht, von
solch ebenmäßiger Schönheit, daß sie mich mit Wehmut erfüllt. Voll
von kränklicher Süße, ist sie umzogen von einem leisen Hauch der Ver¬
wesung. Je mehr sie mit prunkenden Lebensfarben prahlt, desto deut¬
licher wird mir diese fühlbar. Weit beruhigter stehe ich da einem andern
Wiener Dichter gegenüber, der die melancholische Koketterie besitzt, seine
Figuren mit Leichenblässe zu schminken. Herbst= und Abendstimmungen
liebt dieser Poet, letzte Sonnenstrahlen und sinkende Dämmerung. Trotz¬
dem pulst er innerlich von vielfältigem Leben. Ich spreche von Artur
Schnitzler.
Auch Schnitzler ist für Wien in besonderem Grade repräsentativ.
Ich erblicke in ihm den höchsten und reichsten Typus des ganz von
der Seele Wiens durchdrungenen Judentums. Eine solch harmonisch
gesteigerte Verbindung zweier scheinbar auseinanderstrebender, in der
Tat oft glücklich sich ergänzender Rassen war natürlich nur möglich
in einem echten Poeten. Und das ist Schnitzler ganz und gar, und
zwar ein deutscher Poet. Er hat eine Schlichtheit, Herzlichkeit und
Feinhörigkeit der Empfindung, die dem deutschen Gemüte überaus
wohltut. Und darum ranken sich in pikanten Kontrastspiel bereichernde
Gaben: eine kluge und zart sondierende Beobachtung, ein skeptisch
betrachtender und furchtloser Verstand, libellenhaft huschender Witz
und träumerisch versonnene Schwermut. Das Ganze ein überaus sym¬
pathisches Gemisch.
Als Produkt und Repräsentant einer Kultur von Jahrtausenden
mag Hofmannsthal höheres Gewicht haben und tieferen Glanz. Aber
in Schnitzler sprudeln lebendigere Daseinsquellen. Gewiß ist auch er
ganz verwachsen mit Kultur, und überall ist seine Sensibilität bis in
die letzten Differenziertheiten emporgediehen. Doch die Natur, als der
Untergrund seines Wesens, steht unangetastet da und verzweigt sich in
tausend seinen Bahnen und Adern bis ins Herz seines Schaffens.
Von Haus aus ist Schnitzler nichts weniger als Asthet; vielmehr war
er ehedem Arzt. Das verschaffte ihm wohl seine bewunderungswürdige