13 Miscellaneous
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sehen, mit denen wir uns strangulieren. Wenn die
höhere Macht, deren Hand uns zu fassen kriegt, ein
Dichter ist, dann braucht er die Verantwortung nicht
auf das Schicksal abzuwälzen, und dann erst hat
er das Recht, es zu tun. Nichts ist begrenzten
als die Ewigkeitsidee, zu der ein Tändler erwacht,
und von dem, was die Liebe mit dem Tod vorhat,
davon hat ein Schnitzlerscher Sterbemann noch
nicht die leiseste Ahnung; wenn auf solch amourse
Art die Zeit vertrieben ist, folgt nichts nach, und
Herzklopfen ist nur eine physiologische Störung. Daß
Schnitzler Arzt ist, damit mag es zur Not zusammen¬
hängen. Daß Medizin und Dichtung sich in ihm wun¬
dersam verknüpfen, ist uns bis zum Unwohlwerden von
den Feuilletonisten auseinandergesetzt worden. Das,
worauf es ankommt in der Kunst, das Patienten¬
erlebnis, haben sie weder behauptet, noch hätten sie
es zu beweisen vermocht. Um Dichter zu sein, muß man
nicht eigens Laryngologie studiert haben, ihr etwaiger
philosophischer Hintergrund läßt sich mit der Praxis
bequem ausschöpfen, und wenn man selbst in der
Medizin gedanklich weiter vorgedrungen wäre, als der
Beruf erfordert und erlaubt, so würde das noch immer
nichts neben der geistigen Eigenmächtigkeit be¬
deuten, die im künstlerischen Schaffen begründet ist.
Nur eine Plattheit, deren Jargon von einem, der
sich über den Tod Sorgen macht, behauptet,
er mache sich über den Tod Gedanken, scheint es
auch für ein geistiges Verdienst zu halten, und wenn¬
gleich Schnitzler gewiß besser ist als jene, die ihn so
richtig verstehen, so hat sein Werk doch Anteil an der
Banalität einer Auffassung, die es mit der zweifelhaften
Geistigkeit der Medizin zu verklären sucht. Diese ist
ihr die geheimnisvolle Wissenschaft, die geradenwegs
in die Geheimnisse des Menschen und des Lebens
hineinführt. Ein Rachenkatarrh ist die Gelegenheit, um
alles zu erfahren, und wenn man den Leuten nur tief
genug in den Mund hineinsieht, so weiß man auch, was
sich im Herzen tut. Schnitzler ordiniert zwar nicht mehr,
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sehen, mit denen wir uns strangulieren. Wenn die
höhere Macht, deren Hand uns zu fassen kriegt, ein
Dichter ist, dann braucht er die Verantwortung nicht
auf das Schicksal abzuwälzen, und dann erst hat
er das Recht, es zu tun. Nichts ist begrenzten
als die Ewigkeitsidee, zu der ein Tändler erwacht,
und von dem, was die Liebe mit dem Tod vorhat,
davon hat ein Schnitzlerscher Sterbemann noch
nicht die leiseste Ahnung; wenn auf solch amourse
Art die Zeit vertrieben ist, folgt nichts nach, und
Herzklopfen ist nur eine physiologische Störung. Daß
Schnitzler Arzt ist, damit mag es zur Not zusammen¬
hängen. Daß Medizin und Dichtung sich in ihm wun¬
dersam verknüpfen, ist uns bis zum Unwohlwerden von
den Feuilletonisten auseinandergesetzt worden. Das,
worauf es ankommt in der Kunst, das Patienten¬
erlebnis, haben sie weder behauptet, noch hätten sie
es zu beweisen vermocht. Um Dichter zu sein, muß man
nicht eigens Laryngologie studiert haben, ihr etwaiger
philosophischer Hintergrund läßt sich mit der Praxis
bequem ausschöpfen, und wenn man selbst in der
Medizin gedanklich weiter vorgedrungen wäre, als der
Beruf erfordert und erlaubt, so würde das noch immer
nichts neben der geistigen Eigenmächtigkeit be¬
deuten, die im künstlerischen Schaffen begründet ist.
Nur eine Plattheit, deren Jargon von einem, der
sich über den Tod Sorgen macht, behauptet,
er mache sich über den Tod Gedanken, scheint es
auch für ein geistiges Verdienst zu halten, und wenn¬
gleich Schnitzler gewiß besser ist als jene, die ihn so
richtig verstehen, so hat sein Werk doch Anteil an der
Banalität einer Auffassung, die es mit der zweifelhaften
Geistigkeit der Medizin zu verklären sucht. Diese ist
ihr die geheimnisvolle Wissenschaft, die geradenwegs
in die Geheimnisse des Menschen und des Lebens
hineinführt. Ein Rachenkatarrh ist die Gelegenheit, um
alles zu erfahren, und wenn man den Leuten nur tief
genug in den Mund hineinsieht, so weiß man auch, was
sich im Herzen tut. Schnitzler ordiniert zwar nicht mehr,