13. Miscellanen
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Färbung zieht von der vorrätigen Poesie an, und es
entsteht neben einer Frau Redegonda ein Dr. Weh-
wold, der durch ein umlautendes Wigelaweia auf einen
Wehwalt zu deuten scheint. Es ist wohl möglich, daß
die Reporter recht haben, wenn sie behaupten, die
Wiener Gesellschaftskreise hätten eine Zeitlang im
Tone der Schnitzlerischen Dialoge geplaudert, geflirtet,
verliebt, zärtlich und melancholisch getan, wie nach
Wildes Ausspruch die englische Natur die Präraffaeliten
nachgeahmt habe. Denn die Natur geht so gern mit
der Kunst wie die Unnatur mit der Unkunst. In der
empfänglichen Niederung jener Wiener Gesellschaft, die
für die lebensbildende Kraft Schnitzlerscher Dialoge
in Betracht kommt, dürften sich solche Verwandlungen
wohl zugetragen haben, und die Bedeutung Schnitzlers
als eines Befreiers
gebundener Unkraft, Dichters
eines bestimmten Lebenscottages, soll nicht geleugnet
werden. Merkwürdig in die Irre geht diese Intimität
nur, wenn sie höhere Anforderungen an ihren Dichter
stellt, und von ihm mehr will, als ihrer eigenen Ge¬
sundheit zuträglich wäre. »Vielleicht gibt er uns das
reine Lustspiel, vielleicht auch den großen Roman...
Sie spüren nicht, daß Kräfte, die sie vergebens reizen,
bestimmt wären, die Daseinsform jener unmöglich zu
machen, die ihren Geschmack zu solcher Begehrlich¬
keit steigern. Der tiefen Erkenntnis des Literarhistori¬
kers Weilen stimme ich zu: „Daß Schnitzler bisher
das Beste, was in ihm lag, noch nicht gegeben, ist die
sicherste Gewähr für seine weitere Entwicklung; so
weit gehe ich noch mit. Aber dann höre ich die nach¬
denkliche Frage: „Soll sie uns das ersehnte deutsche
Lustspiel schenken, das zu schaffen er wie kein an¬
derer berufen scheint? Wir wissen es nicht. Aber eines
scheint uns sicher: Wenn er erst klar und deutlich
den Ruf des Lebens vernimmt, dann hat er gefunden,
was er mit so unermüdlichem Eifer, so strenger Selbst¬
zucht sucht: den Weg ins Freie. Und indem ich
zweifle, ob der Weg zum deutschen Lustspiel führt, sucht
mich eine Plaudertasche zu überreden: »Wer weiß,
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Färbung zieht von der vorrätigen Poesie an, und es
entsteht neben einer Frau Redegonda ein Dr. Weh-
wold, der durch ein umlautendes Wigelaweia auf einen
Wehwalt zu deuten scheint. Es ist wohl möglich, daß
die Reporter recht haben, wenn sie behaupten, die
Wiener Gesellschaftskreise hätten eine Zeitlang im
Tone der Schnitzlerischen Dialoge geplaudert, geflirtet,
verliebt, zärtlich und melancholisch getan, wie nach
Wildes Ausspruch die englische Natur die Präraffaeliten
nachgeahmt habe. Denn die Natur geht so gern mit
der Kunst wie die Unnatur mit der Unkunst. In der
empfänglichen Niederung jener Wiener Gesellschaft, die
für die lebensbildende Kraft Schnitzlerscher Dialoge
in Betracht kommt, dürften sich solche Verwandlungen
wohl zugetragen haben, und die Bedeutung Schnitzlers
als eines Befreiers
gebundener Unkraft, Dichters
eines bestimmten Lebenscottages, soll nicht geleugnet
werden. Merkwürdig in die Irre geht diese Intimität
nur, wenn sie höhere Anforderungen an ihren Dichter
stellt, und von ihm mehr will, als ihrer eigenen Ge¬
sundheit zuträglich wäre. »Vielleicht gibt er uns das
reine Lustspiel, vielleicht auch den großen Roman...
Sie spüren nicht, daß Kräfte, die sie vergebens reizen,
bestimmt wären, die Daseinsform jener unmöglich zu
machen, die ihren Geschmack zu solcher Begehrlich¬
keit steigern. Der tiefen Erkenntnis des Literarhistori¬
kers Weilen stimme ich zu: „Daß Schnitzler bisher
das Beste, was in ihm lag, noch nicht gegeben, ist die
sicherste Gewähr für seine weitere Entwicklung; so
weit gehe ich noch mit. Aber dann höre ich die nach¬
denkliche Frage: „Soll sie uns das ersehnte deutsche
Lustspiel schenken, das zu schaffen er wie kein an¬
derer berufen scheint? Wir wissen es nicht. Aber eines
scheint uns sicher: Wenn er erst klar und deutlich
den Ruf des Lebens vernimmt, dann hat er gefunden,
was er mit so unermüdlichem Eifer, so strenger Selbst¬
zucht sucht: den Weg ins Freie. Und indem ich
zweifle, ob der Weg zum deutschen Lustspiel führt, sucht
mich eine Plaudertasche zu überreden: »Wer weiß,