VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 262

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Miscellaneous
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von seiner Produktion auf gewerbliche Probleme
abirrenden Genies sind unerquicklich und sollten von
einer innern Zensur unterdrückt werden, solange es
Redaktionen gibt, die ihnen Vorschub leisten. Ich
glaube, daß Wedekinds Bedeutung für das deutsche
Drama länger vorhalten wird als seine kritische Autorität,
deren Äußerungen zugleich mit jenen veralten werden,
denen sie gelten. Arthur Schnitzler Meister zu
nennen, möge Herrn Zweig überlassen bleiben, der es
mit Recht tut, nicht ohne die beruhigende Zusicherung
zu geben, daß seine Generation, wiewohl sie anderes
wolle, die frühere nicht entwurzeln werde. Was sie
will, die Generation des Herrn Zweig, weiß ich,
und Herr Zweig weiß es auch. In unserer Zeit,
da die Kunst sich gern der Popularitätssucht,
der Geldverdienerei, der Journalistik und Gesell¬
schaftlichkeit kuppelt, sei der Anblick Schnitzlers
erfreulich. Nichts lenke mehr von der Vista auf die
Werke ab, als jene kleinen Unsauberkeiten des
Charakters, die uns die Indiskretion der Nähe leicht¬
preisgibt. Herr Zweig kennt sich aus und hat ganz
Recht, wenn er Schnitzler von dem Drang zur Geldver-
dienerei, zur Journalistik und zur Gesellschaftlichkeit
ausnimmt. Es ist nur die Frage, warum die neue
Generation, die dazu inkliniert, die es weiß, und die
ihr Ende bei der Neuen Freien Presse voraussieht,
sich nicht lieber umbringt, und was Schnitzler anlangt,
so ist gewiß zum Lob seiner Person zu sagen,
daß er sich nie um jene zweifelhaften Subsidien
mangelnder Persönlichkeit umgesehen hat, sondern
daß sie zu ihm gekommen sind. Schnitzler ist von
ihnen umringt und sitzt in der Fülle aller Leere, ohne
daß er das Talent jener Betriebsamkeit aufwenden
mußte oder konnte, die heute den Wert ersetzt. Seine
Position ist zwischen Bedeutung und Geltung,
und eine Verwandtschaft mit ihm muß die Welt
so hingerissen haben, daß sie ihm entgegenkam.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Karl Kraus
Druck von Jahoda & Siegel, Wien, III. Hintere Zollamtsstraße 3